Brief an August Goethe

Vorbemerkung: Dieser Brief stammt aus demselben Zeitraum wie der vorige. Der Verfasser muss aus dem Umfeld Ferdinand Heinkes stammen, dessen Tagebücher getreulich von August Goethes Wunsch, sich um Frau von Pogwisch totschießen zu wollen, Auskunft geben.


Mein lieber Goethe,

hoffentlich erwischt Sie dieses Billet nicht im falschen Augenblick, also nicht etwa bei Ihren Schießübungen, denen Sie sich ja wohl, wie ich unlängst aus zuverlässiger Quelle erfahren habe, fast täglich hingeben.

Da Sie aber ein so ungemein heißes Blut zu besitzen scheinen, kann es mir gar nicht recht sein, sollten Sie dieses Briefchen mit einer Pistole in der Hand zu lesen bekommen. Ein Hitzkopf wie Sie könnte dann nämlich versucht sein, den Lauf an Ihre Schläfe zu setzen und, ohne auch nur eine Sekunde lang zu überlegen, mal eben einfach so abzudrücken. Das wäre mir sehr unrecht.

Zum einen hätten Sie damit sehr wahrscheinlich Ihr Leben verwirkt (was aber, wie mir scheint, ein nicht gar so triftiger Grund ist, da der Verlust für die Nachwelt, wie wir wohl ruhigen Gewissens annehmen dürfen, nun wirklich nicht allzu groß wäre); bedenken Sie also vielmehr, zweitens, welch Sauerei Sie dadurch anrichteten. Es kommt natürlich darauf an, wie genau Sie zielen, Blut fließt aber in jedem Falle. Die ganze Wohnstube wäre wohl derart verschmutzt, dass es Tage dauern würde, bis der Boden wieder halbwegs sauber wäre. Und wer sollte den Dreck wegwischen? Eigentlich sollten ja Sie es tun, Sie, der Sie die Schweinerei verursacht hätten. Ich glaube aber kaum, dass Sie dazu noch in der Lage wären. Allerdings wäre es kein sehr feiner Zug von Ihnen, wenn Sie diese Arbeit einem armen kleinen Hausmädchen überließen.

Warum aber diese meine Sorge? Nun, es geht um das junge Fräulein von Pogwisch, um die Sie sich ja wohl, wie ich hörte, jeden Tag totschießen wollen. Ist Sie das aber wirklich wert? Überlegen Sie gut. Sie mag ja bildhübsch sein, doch darf das nicht zur Grundlage Ihrer Entscheidung werden. Schönheit vergeht, wie man sagt. Wie aber steht es mit dem Charakter des Fräuleins von Pogwisch? Haben Sie sich darüber schon mal Gedanken gemacht, werter Herr? Sie wissen doch selbst am besten, dass sie seit Kurzem nur noch Augen für jenen Adjutanten hat, der neulich bei Schopenhauers zu Gast gewesen ist.

So wird es in einem fort gehen, immerzu wird sie sich nach einem schneidigen Kerl umschauen, einem schneidigeren jedenfalls, als Sie es sind. Ihr einziger Trumpf, werter Herr, ist Ihr Name. Doch sollte Ihnen doch wohl klar sein, dass nicht Sie es sind, nach dem eine Frau sich verzehrt; nein, werter Herr, es ist den jungen Damen nur darum zu tun, Ihren Herrn Vater zu ehelichen. Da macht es ihnen auch nichts aus, wenn sie dazu den Umweg über den Sohn nehmen müssen.

Leben Sie recht wohl und grüßen Sie das Haus, das ich ehre und liebe.

Unterschrift

PS: Zecht Ihr Herr Vater noch immer so viel wie ehedem? Folgen Sie ihm in dieser Hinsicht besser nicht nach, nicht Jeder verträgt so viel wie der Alte.