Max Brod ignoriert Kafkas Wunsch

Franz Kafka hat zu Lebzeiten nur wenige Texte veröffentlicht. Max Brod ist es zu verdanken, dass die restlichen Manuskripte erhalten geblieben sind.


Dass wir überhaupt etwas vom Prozess des Bankbeamten Josef K. wissen, haben wir Max Brod zu verdanken. Denn eins steht zweifelsfrei fest: Kafka wollte sein Werk nicht veröffentlicht sehen. Testamentarisch hatte er verfügt, seinen gesamten Nachlass zu verbrennen – ohne jede Ausnahme. Doch sein Nachlassverwalter Max Brod tat nichts dergleichen, sondern machte den Nachlass der Öffentlichkeit zugänglich.

Das war Pech für Kafka, Glück aber für die Leserin. Wie eindeutig die Anweisung Kafkas tatsächlich gewesen ist, ist schwer zu sagen. Brod jedenfalls war der Meinung, Kafkas Wunsch guten Gewissens ignorieren zu können. Und wenn es einer gewusst haben muss, dann ja wohl Brod, der schon seit 1902 gut mit Kafka bekannt war. Später besorgte Brod auch die erste Kafka-Gesamtausgabe, die von 1935 an erschien.

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Schlechte erste Sätze

Der erste Satz eines Romans ist immer eine heikle Sache. Das weiß keiner besser als Edward Bulwer-Lytton, nach dem sogar ein ganzer Wettbewerb benannt ist.

In der Tat heißt es in allen Ratgebern zur Stilkunde immer wieder, der erste Satz sei der wichtigste überhaupt. ›Bedenke wohl die erste Zeile‹, hat ja auch schon Goethe gesagt (→ Faust I. Studierzimmer).

Doch es gibt durchaus Ausnahmen. Immerhin haben auch Tolstoi (Krieg und Frieden) und Thomas Mann (Buddenbrooks) bewiesen, dass dieses Diktum nicht unbedingt stimmt. Zudem sind viele Einstiegssätze, die für gut und schön befunden werden, alles andere als gut und schön (siehe Grass, Der Butt).

Ein Preisausschreiben von 1925

Beim Blättern in alten Papieren sind wir wieder auf einen faszinierenden Artikel gestoßen. Darin geht es um einen von zwei Verlagen ausgelobten Buchpreis.


100.000 ist eine stolze Zahl. Sechsstellige Ziffern sind fast immer beeindruckend, vor allem wenn es ums Geld geht. Nun war das freilich nicht immer so. Man schaue sich nur einmal das Inflationsjahr 1923 an. Hatte ein Kilogramm Butter vor dem Krieg in Berlin noch 2,60 Mark gekostet, so war der Preis im Januar 1923 zunächst auf 5500 Mark gestiegen, bevor die Entwicklung geradezu explosionsartig über 30.300 Mark im Juni bis hin zu 5,6 Billionen Mark am 26. November weiterging.

100.000 Mark waren damals also so gut wie nichts wert. Ein Buchpreis in dieser Höhe hätte jedenfalls keinen Hund hinterm Ofen hervorgelockt. Wie anders aber kaum zwei Jahre später. 100.000 Mark waren nun plötzlich wieder ein wahrer Geldsegen, entsprachen sie doch dem Wert von mehr als 400.000 Euro – eine unerhörte Summe.

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Werthers wahre Geschichte

Der Briefroman Die Leiden des jungen Werther machte Goethe berühmt. Die Geschichte beruht zum Teil auf wahren Begebenheiten.


Goethe war ungehalten. Anstatt ihm über sein Büchlein etwas Verbindliches zu sagen, wollten sie sämtlich nur wissen, ›was denn eigentlich an der Sache wahr sey?‹ Über welche Frage er ›sehr ärgerlich wurde‹ und sich ›meistens höchst unartig dagegen äußerte‹ (DuW).

Nun, was ist denn wahr an Goethes Werther? Genau können wir es natürlich nicht sagen, aber so viel zum Hintergrund: Von Mai bis September 1772 als Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar tätig, hatte Goethe reichlich Zeit, um sich den verschiedensten Lustbarkeiten zu widmen.

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Mark Twain schreibt eine Fortsetzung

Jugendliche Helden gibt es in der Literatur einige. Die beiden bekanntesten stammen aus der Feder von Mark Twain: Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Über beide hat er ein eigenes Buch geschrieben. Das zweite hätte er aber um ein Haar gar nicht veröffentlicht.


Im Alter von 40 Jahren veröffentlichte Mark Twain einen Jugendroman über einen jungen Lausbuben: The Adventures of Tom Sawyer. Das Buch wurde ein großer Erfolg. Was also lag näher, als eine Fortsetzung zu veröffentlichen? In der Tat war die Nachfrage so groß, dass er sich ein Formschreiben drucken lassen musste, in dem er darauf hinwies, dass er durchaus die Absicht besitze, die Geschichte des Tom Sawyer fortzuschreiben, es ihm aber leider derzeit noch nicht möglich sei zu sagen, wann er denn damit beginnen werde (→ Hearn 2003, S. xiv).

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Austens Arbeitstitel

Der berühmteste Roman von Jane Austen ist unter dem Titel Pride and Prejudice bekannt. Ursprünglich lautete er aber anders: First Impressions.


Jane Austen schrieb die ersten Notizen zu Stolz und Vorurteil bereits im Jahre 1796 nieder. Der Arbeitstitel First Impressions, den sie damals benutzte, verweist darauf, wie prägend der erste Eindruck sein kann. Aber wie wir ja alle wissen, täuscht der erste Eindruck mitunter schon mal.

Später hat Austen den Roman dann umbenannt, und noch etwas anderes hat sie geändert. Die ursprünglich angedachte Form des Briefromans hat sie bereits in der ersten Fassung 1797 durch die epische Form ersetzt. Bis der Roman schließlich veröffentlicht wurde, vergingen aber noch 16 Jahre (→ Grawe 2010, S. 64 ff.).

Die 1500 Exemplare, die im Januar 1813 in London erschienen, waren dann aber binnen sechs Monaten ausverkauft, sodass noch im selben Jahr eine zweite Auflage gedruckt wurde (→ Austen 2001, S. 401). Nur wusste damals keiner ihrer Leserinnen, wer das Buch eigentlich geschrieben hatte.

Es war zwar nicht jedem unbekannt, doch der breiten Öffentlichkeit gegenüber konnte Austen die Anonymität bis zu ihrem Tod 1817 wahren.

Jane Austen, Kurzzeitverlobte

Jane Austen blieb ihr Leben lang unverheiratet. Einmal wäre sie aber um ein Haar in den Hafen der Ehe eingelaufen.


Jane Austen schrieb schöne Romanzen, war selbst aber nie verheiratet. Mit Männern hatte sie in der Tat nie viel am Hut, auch wenn sie als 27-Jährige fast einmal den Bund der Ehe eingegangen wäre. Am Abend des 2. Dezember 1802 hatte nämlich der junge Harrison Bigg-Wither um ihre Hand angehalten – und tatsächlich ihr Jawort erhalten.

Das war überraschend. Warum hatte sie den Antrag ihres Verehrers angenommen? Das ist schwer zu sagen. Vielleicht fand sie den sechs Jahre jüngeren Bigg-Whither, der wohl etwas stotterte und deshalb ein wenig schüchtern war, einfach nur nett. Vielleicht hatte sie auch nur Mitleid mit ihm. Wir wissen es nicht, denn Briefe aus jener Zeit sind nicht überliefert.

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Tolstoi braucht Zeit

Manchmal entwickelt sich ein Romanprojekt anders als geplant. Leo Tolstoi kann ein Lied davon singen.


Krieg und Frieden ist ein Riesenwerk. Dabei hatte alles noch ganz harmlos angefangen. Ursprünglich hatte Tolstoi nur über die Dekabristen etwas schreiben wollen, über jene adligen Offiziere, die sich anno 1825 gegen Zar Nikolaus I. verschworen hatten, dafür aber hingerichtet oder, was ja nicht ganz so unerfreulich ist, zumindest nach Sibirien verbannt worden waren. Genau dies war auch der Ausgangspunkt für Tolstois Plan: Der Held des Romans kehrt nach 30 Jahren in sibirischer Gefangenschaft nach Russland zurück.

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Kafkas Noten

Es ist immer wieder ein Vergnügen, alte Schulzeugnisse zu studieren. Ein schönes Beispiel hierfür ist die ›Classification des Schülers‹, die Josef Čermák seinem wunderbaren Buch Franz Kafka. Dokumente zu Leben und Werk (Berlin: Parthas 2010) als Faksimile beigegeben hat.

Was lernen wir nun von diesem Zeugnis aus der Deutschen Volks- und Bürgerschule am Prager Fleischmarkt? Dass Kafka ein hervorragender Schüler gewesen sein muss, fast schon ein Streber. Ob sittliches Betragen, Fleiß, Religion, Lesen oder Rechnen in Verbindung mit der geometrischen Formenlehre – Kafka hatte überall nur Einser.

Selbst im Turnen bekam er im ersten Vierteljahr die Bestnote. Nur im Schreiben offenbarte er leichte Schwächen. Dort erhielt er nur die Note zwei, genauso wie einem anderen Fach: Sprachlehre und Rechtschreiben. Schriftlich konnte er sich offenbar nicht so gut ausdrücken.

Das Wertherfieber

Goethes kleiner Briefroman Die Leiden des jungen Werther besaß zu seiner Zeit großen Einfluss. Tatsächlich setzte geradezu eine Manie um Werther ein. Was machten denn die Leser des Werthers? Sie kauften reichlich Werther-Nippes, machten das Parfüm Eau de Werther zum Renner der Saison und kleideten sich ganz wie ihr Vorbild: Blauer Frack und gelbe Weste waren der Renner der Saison. Es herrschte also regelrechtes Wertherfieber – ein Begriff, der sich auch in Metzlers Goethelexikon findet (→ Jeßing 2004, S. 471).

Dort gehen die Autoren auch auf ein anderes Phänomen ein, das im Zusammenhang mit Werther immer wieder erwähnt wird: dass nämlich unter den Fanatikern auch zahlreiche Suizidanten gewesen seien, die sich allesamt selbst entleibten. Doch das ist eben nur eine Legende. Es ist nichts davon wahr.