Das dunkle Geheimnis der Bow Street

Auf unserem Nachttisch liegt auch ein Krimi, der sich mit dem klassischen Problem des verschlossenen Zimmers befasst: Das dunkle Geheimnis der Bow Street von Israel Zangwill.


Daten zum Buch

  • Autor: Israel Zangwill
  • Titel: The Big Bow Mystery
  • Genre: Roman
  • Verlagsort der Erstausgabe: London
  • Verleger: Henry & Co.
  • Erscheinungsjahr: 1892
  • Deutsche Erstausgabe: Das große Geheimnis der Bowstraße (Berlin/Leipzig: H. Hillger 1907, Übersetzung: Wilhelm Roegge)

Das Zimmer ist fest verschlossen, keine Maus kann rein noch raus. Und doch ist das Undenkbare eingetreten: eben dort ist ein Mensch ermordet worden. Suizid kann es nicht gewesen sein, das lässt sich leicht beweisen; so bleibt nur eine Lösung übrig: irgendjemand ist in die verriegelte Kammer eingedrungen und hat dort einen Mord begangen – und zwar, ohne jede Spur zu hinterlassen. Wie aber ist das möglich?

Die Freunde des Kriminalromans kennen wohl alle diese geradezu klassische Problemstellung, die der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe in seiner Erzählung Die Morde in der Rue Morgue (The Murders of Rue Morgue, 1841) einst quasi erfunden hat.

Seitdem findet sich natürlich in vielen Büchern dieses Problem, so auch beim englischen Autor Israel Zangwill, dessen Kurzroman um das Geheimnis in der Bow Street(The Big Bow Mystery, 1892) mir neulich als Nachttischlektüre gedient hat.

Der erste Satz schreckt erst mal ab. Der graue, kalte Nebel, von dem dort die Rede ist, erinnert fatal an jenen berüchtigten Einstieg von der dunklen und stürmischen Nacht, mit dem der englische Autor Edward Bulwer-Lytton einst für so viel Furore gesorgt hat. Aber gut, man kann nicht alles haben.

Kurz nur ein Wort zur Handlung: In einem von der Witwe Drabdump vermieteten Zimmer liegt der tote Gewerkschafter Arthur Constant, dem der Mörder mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten hat. Von der Tatwaffe aber keine Spur – und das, obwohl Fenster und Türen von innen fest verriegelt waren. Wer also kommt als Täter in Frage?

Vielleicht der Mitbewohner Tom Mortlake? Vielleicht der Dichter Dencil Cantercot? Wer weiß? Zwei Detektive sind dem Täter jedenfalls auf der Spur, der pensionierte Scotland-Yard-Polizist Grodman genauso wie dessen Nachfolger Edward Wimp.

Doch Wimp liegt falsch. Er bringt einen Unschuldigen vor Gericht, der sogleich auch zum Tode verurteilt wird. Zum Glück findet Grodman im letzten Augenblick doch noch die richtige Lösung, womit er ein himmelschreiendes Unrecht zu verhindern weiß. Das ist gut so. Fragt sich nur, wie man jemanden zum Tode verurteilen kann, dessen einzige Entlastungszeugin erst lange nach dem Prozess für eine Aussage zur Verfügung steht? Rätselhaft.

Die Erklärung für das Problem, wie ein Mord in einem verschlossenen Zimmer ausgeführt werden kann, weiß zu überzeugen. Nicht jedem Autor, der sich daran versucht hat, ist eine solch stimmige Auflösung gelungen. Israel Zangwill gebührt entsprechendes Lob dafür.

Noch ein Wort für die deutschsprachigen Leserinnen: Ähnlich wie bei Mary Shelleys Der letzte Mensch liegt auch dieser Roman nur in einer gekürzten Form vor. Das ist schlimm. Vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, dass der Name des Übersetzers nicht angegeben wird. Das ist bedauerlich, da ich immer gerne wissen will, wer denn nun die schwierige Aufgabe des Übertragens von der einen in eine andere Sprache übernommen hat.

Aber die Ausgabe des area Verlags weist noch weitere Mängel auf. Es ist hier nämlich wieder so wie bei vielen anderen Übersetzungen auch: Ein paar gezielte Anmerkungen hätten der Ausgabe ganz gut getan. Sicher, einige Fußnoten hat die Redaktion dem Text beigegeben, doch im Grunde ist sie viel zu sparsam damit umgegangen.

Ob beispielsweise die deutsche Leserin weiß, wer Grace Darling war, von der Cantercot und Mortlake an einer Stelle sprechen, und was die ganze Geschichte mit dem Rettungsboot auf sich hatte? Ich glaube kaum.

Auch ein einleitendes Vor- oder ein erklärendes Nachwort sucht man vergebens, sodass die Leserin von der Bedeutung dieses Romans für die Kriminalliteratur nicht einmal ansatzweise etwas erfährt. Das ist besonders schade.