Das Tennisduell des Jahrhunderts

Beim Blättern in alten Papieren sind wir wieder auf einen faszinierenden Artikel gestoßen. Darin geht es um ein Tennismatch, das Anfang 1926 die ganze Welt in Atem gehalten hat: Suzanne Lenglen gegen Helen Wills.


Wann verlieren Reporter schon mal ihren Kopf? Nicht allzu oft, wollen wir hoffen, ab und an ist es aber doch der Fall. So auch im Februar 1926. Damals, so schrieb J. Stavnik im Tage-Buch vom 6. März 1926 (S. 377 f.), hätten ›alle großen Blätter englischer Sprache dies- und jenseits des Ozeans den Kopf verloren‹. Und warum? Weil in Cannes zwei Frauen Tennis gespielt haben und ›nach einigem Hin- und Herwerfen die Dame mit der häßlichen Nase die Dame mit der hübschen Nase besiegt hat‹.

Die Partie war in der Tat das größte Ereignis, das die Riviera bis dato gesehen hatte. Keiner, der dabei gewesen ist, hat es je vergessen. Als die Französin Suzanne Lenglen und die Amerikanerin Helen Wills am 16. Februar 1926 in Cannes zu ihrem einzigen Tennismatch gegeneinander antraten, schien die Welt für einen Tag stillzustehen, wie wir auch Larry Engelmanns Buch The Goddess and The American Girl (Oxford: University Press 1986) entnehmen können.

Lenglen, am 24. Mai 1899 in Compiègne geboren, aus einer wohlhabenden Familie stammend, wurde von ihrem Vater trainiert, der durchaus als krankhaft ehrgeizig gelten kann. Aber Lenglen war nicht nur erfolgreich, sie war auch eine Persönlichkeit, für ihre Fans war sie nur die Göttliche. Sicher, eine Schönheit war sie nicht, da hatte Stavnik durchaus Recht. Zu ihren Augen fiel den Leuten damals nicht viel ein – nur so viel: Sie seien so neutral, dass ihre Farbe kaum bestimmt werden könne. Außerdem hatte sie einen bleichen Teint, ihre Zähne waren schief und ihre Nase war nicht nur zu lang, sondern darüber hinaus auch noch etwas krumm.

Aber was zählte das schon angesichts ihrer Eleganz, mit der sie die Herren der oberen Zehntausend in ihren Bann schlug. Allein schon ihr Auftreten war unerhört. So betrat sie den Tennisplatz oft mit einem Pelzmantel, trug kurze Röcke, juwelenbesetzte Kopfbänder und stellte mitunter schon mal ein gewagtes Dekolleté zur Schau. Auch trank sie gerne und viel, Champagner vor allem, weshalb sie, obwohl hin und wieder zu hysterischen Anfällen neigend, auch auf Partys ein gern gesehener Gast war.

Lenglen war die größte Tennisspielerin ihrer Zeit, keine Frage, vielleicht sogar die beste, die es je gegeben hat. Siebenmal hat sie in Wimbledon gewonnen, 1920 das erste Mal – und das in allen drei Konkurrenzen: im Einzel, im Doppel und im Mixed. Sie war quasi unschlagbar, in sieben Jahren verlor sie nur ein einziges Match, 1921 bei den US Open gegen Molla Bjurstedt-Mallory, aber das zählte ja wohl kaum, denn unter Keuchhusten leidend hatte sie das Match von schweren Hustenanfällen geschüttelt nach verlorenem ersten Satz zu Beginn des zweiten abbrechen müssen. Ihre Dominanz war in der Tat so unerhört, dass das, was später Martina Navratilova, Steffi Graf oder Serena Williams leisten sollten, geradezu als Witz erscheint.

Und Wills? Die 1905 geborene Kalifornierin, die von 1923 bis 1925 dreimal hintereinander die US-amerikanische Meisterschaft gewonnen hatte, galt als legitime Nachfolgerin der Lenglen. Auch sie hinterließ großen Eindruck. Schauen wir nur, was Charlie Chaplin in seiner Autobiografie geschrieben hat, als er die Frage beantworten musste, was denn wohl das schönste gewesen sei, was er je gesehen habe. Für ihn sei dies ganz eindeutig Helen Wills beim Tennisspielen gewesen; ihre Bewegungen seien so anmutig wie sparsam gewesen und hätten ein gesundes Maß an Sexappeal besessen (›The movement of Helen Wills playing tennis: It had grace and economy of action as well as a healthy appeal to sex‹, → Chaplin, S. 358).

Aber konnte sie auch die Lenglen besiegen? Keiner wusste es zu sagen, beide hatten ja noch nie zuvor gegeneinander gespeilt. Doch jetzt, 1926, war die Zeit gekommen. Das Buhei begann am 15. Januar, als sie in Le Havre den Ozeanriesen De Grasse verließ und von ganzen Reporterscharen begrüßt wurde.

Dann kam die Zeit der Sportreporter, die ständig auf der Suche nach einem Knüller waren. Wie Stavnik schrieb, war dabei natürlich der Reporter wesentlich besser daran, ›der den Schlaf der hübschen Dame beschreiben mußte‹, als jener, ›welcher den Schlaf der häßlichen Dame nach Amerika kabeln mußte‹. Unter den Korrespondenten waren auch zwei Journalisten, die nachmals sehr berühmt werden sollten: James Thurber schrieb für die Chicago Tribune, Paul Gallico für die New York Daily News.

Vier Wochen sollte es noch dauern, dann war es endlich soweit. Lenglen und Wills trafen in Cannes im Finale des Tennisturniers des Carlton Clubs aufeinander. Das Duell am 16. Februar 1926 hielt alles, was sich die etwa 3000 Zuschauer zuvor davon versprochen hatten. Dies vor allem auch deshalb, weil beide einen völlig unterschiedlichen Spielspiel pflegten. Hier die elegante Lenglen, die wie eine Ballerina über den Platz flog; dort Wills, die etwas schwerfällig wirkte, dafür aber mit einer Urgewalt auf die Bälle einprügelte.

Lenglen entschied den ersten Satz mit 6:3 für sich, war dabei aber öfter dem Kreislaufzusammenbruch nahe, weshalb sie ein übers andere Mal einen kräftigen Schluck aus ihrer Cognacflasche nehmen musste. Im zweiten Satz ging Wills 3:1 in Führung, bevor ihr beim Stand von 4:3 und 30:30 ein Punkt nicht zugesprochen wurde, obwohl ihre Gegnerin den Ball wohl ins Aus geschlagen hatte.

Aufregung gab es auch beim Stand von 6:5 für Lenglen, als die Französin ihren Matchball nach einem Ausruf schon verwandelt glaubte; erst nachdem Wills ihr bereits zum Sieg gratuliert hatte, kam heraus, dass nur ein Zuschauer, nicht aber der Linienrichter Aus gerufen hatte. Das Match ging weiter. Wills glich noch einmal aus, ehe Lenglen die nächsten beiden Spiele gewann und mit 6:3, 8:6 die Oberhand behielt.

Später am Tag traten die beiden noch einmal gegeneinander an, diesmal im Doppel. Wieder gewann Lenglen, danach brach sie vor Erschöpfung zusammen. Ein weiteres Match sollte es nicht mehr geben, da Wills während der Französischen Meistershaft in einer Notoperation der Blinddarm entfernt werden musste und sie weder dort noch in Wimbledon mitspielen konnte.

Lenglen wurde später Profispielerin, ehe sie aus gesundheitlichen Gründen von der Tennisbühne abtrat. Sie starb 1938 im Alter von nur 39 Jahren an Leukämie. Wills dagegen entwickelte sich zur überragenden Spielerin der 20er- und 30er-Jahre und feierte in dieser Zeit 19 Siege bei einem Grand-Slam-Turnier – und das, obwohl sie nur 24 Mal daran teilgenommen hat. Wills starb am 1. Januar 1998 im Alter von 92 Jahren.