Der weibliche Quijote

Auf unserem Nachttisch liegt seit Neuestem auch ein wunderlich-schönes Buch aus dem 18. Jahrhundert: Der weibliche Quijote von Charlotte Lennox.


Daten zum Buch

  • Autorin: Charlotte Lennox
  • Titel: The Female Quixote; or, The Adventures of Arabella
  • Genre: Roman
  • Verlagsort der Erstausgabe: London
  • Verleger: Andrew Millar
  • Erscheinungsjahr: 1752
  • Deutsche Erstausgabe: Don Quixote im Reifrocke: oder die abentheuerlichen Begebenheiten der Romanenheldinn Arabella (Hamburg/Leipzig: Georg Christian Grund und Adam Heinrich Holle 1754, Übersetzung: unbekannt)

Ob sie tatsächlich ein Blaustrumpf war? Zumindest galt sie als ein bluestocking, damals im England des 18. Jahrhunderts. Wer aber kennt Charlotte Lennox heute? In Deutschland wohl kaum jemand. Das aber ist mehr als bedauerlich, gehört doch ihre 1752 erschienene Beschreibung der quijotegleichen Abenteuer einer jungen Dame zu den bemerkenswertesten Büchern der damaligen Zeit.

Heldin des Romans ist die junge Arabella, die in dem ländlich gelegenen Schloss ihres Vaters aufwächst, woselbst sie ihre Zeit hauptsächlich mit der Lektüre französischer Romanzen aus der Zeit des 17. Jahrhunderts verbringt. Allein für sich genommen, mag das gar nicht so schlimm erscheinen, auch wenn jene Schmonzetten vielleicht nicht gerade zur Weiterentwicklung des eigenen Weltbildes beitragen mögen.

Doch in Arabellas Fall ist ja alles noch viel schlimmer. Da sie die Handlung jener sentimentalen Schmöker für wahrhaftig ansieht, führt die Lektüre fast zwangsläufig zu einer recht eigenartigen Vorstellung vom realen Leben – so kühn und romantisch wie einst beim armen Ritter von der traurigen Gestalt.

Tatsächlich schießt Arabellas Fantasie einen Kobolz nach dem anderen: In jedem Mann, und sei es auch nur ein einfacher Gärtnerbursche, erblickt sie einen potenziellen Galan, der die abenteuerlichsten Dinge mit ihr vorhaben mag. So fürchtet sie wohl jedes Mal aufs Neue, von solch einem Strolch mindestens entführt und sonst wohin verschleppt zu werden. Dieser Fall von geistiger Verwirrtheit bereitet auch ihrem Cousin schlaflose Nächte – was freilich auch damit zusammenhängt, dass er einen Narren an ihr gefressen hat. Pech nur, dass sie seine Liebe einfach nicht erkennen will.

Dies wiederum mag der Tatsache geschuldet sein, dass ihr Cousin jenem Tonfall entsagt, den auch Arabellas Romanhelden zu benutzen pflegen. Sir George Bellmour jedenfalls kennt diese Skrupel nicht. Wenn er bei ihr nur landen kann, indem er jenen manierierten Schwulst imitiert, der dieser jungen Lady so gefällt, dann soll es eben so sein. Es nützt ihm freilich wenig. Denn am Ende wird Arabella glücklich von ihrem Wahnsinn befreit – woraufhin ihr armer Cousin sie doch noch heimführen kann.

Charlotte Lennox war eine beeindruckende Frau. 1729 oder 1730 in Gibraltar als Tochter eines Kapitänleutnants geboren, verbrachte sie ihre Jugend bis zum Tod ihres Vaters in New York, bevor sie 1743 nach England zurückkehrte. War es für Frauen damals noch üblich, sich hauptsächlich ihren familiären Pflichten zu widmen, wollte Lennox, die eine weitreichende Ausbildung genossen hatte, sich damit nicht begnügen. Ihr Interesse galt der Literatur, der sie sich schon frühzeitig ausgiebig widmete. So war sie neben ihrer Arbeit als Übersetzerin und Schriftstellerin auch als Shakespeareforscherin tätig, wie ihr dreibändiges Werk Shakespear illustrated (London 1753) beweist.

Ihr populärstes Buch aber blieb zeitlebens The Female Quixote or The Adventures of Arabella, das schon zu ihren Lebzeiten sechs Auflagen erlebte. Auch heute noch wird es in England immer wieder neu herausgebracht, in Deutschland dagegen stammt die neueste Übersetzung aus dem Jahr 1976. Äußerst bemerkenswert ist anderseits, dass unter dem Titel Don Quixote im Reifrocke: oder die abentheuerlichen Begebenheiten der Romanenheldinn Arabella schon 1754 bei Grund und Holle in Hamburg die erste deutschsprachige Ausgabe erschien. Der Name des Übersetzers ist leider unbekannt.