Die Protokolle der Weisen von Zion

Die Protokolle der Weisen von Zion werden von Antisemiten gerne zitiert, wenn es darum geht, Juden zu diskreditieren. Dabei ist schon lange bekannt, dass es sich um eine Fälschung handelt.


Was geschieht, wenn eine geheime Gesellschaft zusammentritt? Man weiß es nicht genau. Vermutet wird jedenfalls vieles. So soll sich beispielsweise Ende des 19. Jahrhunderts  ein Geheimbund  getroffen haben, um darüber zu debattieren, auf welche Art und Weise die Welt wohl am besten zu unterjochen sei. Von Weltverschwörung ist dann gerne die Rede – und wer anders könnte dafür verantwortlich zeichnen als die Juden?

So jedenfalls lautet die Anklage derer, die sich dabei auf ein Buch berufen, das Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa die Runde machte: die Protokolle der Weisen von Zion, jenes Pamphlet, das in 24 Sitzungsberichten die Pläne dieses mysteriösen Geheimbundes von 300 Männern angeblich detailliert darlegt.

Plump gefälscht
Angesichts der Plumpheit, mit der die Protokolle gefälscht worden sind, mag man kaum glauben, dass jemals irgendein halbwegs intelligenter Mensch von der Echtheit dieses Machwerks überzeugt gewesen sein soll. Aber vielleicht überschätzen wir auch die Fähigkeit unserer Mitbürger zum Nachdenken, da ja selbst der größte Unsinn nur allzu gerne für bare Münze genommen wird. Nicht anders liegen die Dinge im vorliegenden Fall, denn unbegreiflicherweise werden die Protokolle auch heute noch für antisemitische Propaganda missbraucht. Das sollte wohl jeden vernunftbegabten Menschen nachdenklich stimmen.

Die Veröffentlichungsgeschichte der Protokolle begann kurz nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die früheste, gegen Ende leicht gekürzte Version, erschien vom 26. August 1903 bis zum 7. September 1903 in der Petersburger Zeitung Snamja, deren Herausgeber (Pawolatschi Kruschewan) als aktiver Antisemit wohlbekannt war. Nachdem der Schriftsteller Sergej Nilus die Protokolle zwei Jahre später in die zweite Auflage seines Buches Das Große im Kleinen (Welikoje w malom) aufgenommen hatte, wurden sie aufgrund der guten Verbindungen des Autors zum Zarenhaus zum Allgemeingut.

Der Text war offenbar so bemerkenswert, dass in allen 368 Kirchen Moskaus eine Predigt mit Zitaten aus den Protokollen verlesen wurde. Auch Zar Nikolaus II. zeigte sich von der Lektüre tief beeindruckt, doch als sich nach Untersuchungen des Gendarmenkorps schon damals herausstellte, dass die Protokolle gefälscht waren, verzichtete der Zar darauf, sie für antisemitische Zwecke zu verwenden. Das hielt Nilus freilich nicht davon ab, in den darauffolgenden Jahren ständig neue Ausgaben zu veröffentlichen.

Und in Deutschland?
1920 erreichten die Protokolle auch Deutschland. Unter dem Pseudonym Gottfried zur Beek veröffentlichte Ludwig Müller, der Herausgeber der antisemitischen Zeitschrift Auf Vorposten, eine Broschüre, die noch im selben Jahr sechs Auflagen erlebte. Alfred Rosenberg und Theodor Fritsch, dessen 1887 erstmals vorgestellter Antisemitismus-Catechismus später zum populären Handbuch der Judenfrage aufsteigen sollte, brachten weitere Ausgaben auf den Markt, wobei vor allem Fritschs Volksausgabe ein enormer Erfolg beschieden war: bis 1933 erschienen über 100 000 Exemplare.

Welch bedeutende Rolle die Protokolle damals in Deutschland spielten, zeigt sich alleine schon daran, dass sogar der Mord an Walter Rathenau am 24. Juni 1922 teilweise auf sie zurückzuführen ist. Wie nämlich einer der Beteiligten bei der Gerichtsverhandlung aussagte, vermuteten die Mordbuben in Rathenau doch tatsächlich einen der Weisen von Zion.

In den USA machte sich derweil kein Geringerer als Henry Ford für die Verbreitung der Protokolle stark; zuerst ließ er sie in seiner Zeitung The Dearborn Independent drucken, bevor sie später unter dem Titel The International Jew auch als Buch auf den Markt kamen. Dass Philip Graves das Buch bereits im August 1921 in einer dreiteiligen Artikelserie der Londoner Times als plumpe Fälschung entlarvt hatte, tat dem Siegeszug also keinen Abbruch. Ebenso wenig der Berner Prozess von 1935, in welchem das Gericht über die Echtheit der Protokolle zu befinden hatte.

Grundlage für den Prozess war ein Gesetz, das den Druck, die Veröffentlichung und den Verkauf von Schundliteratur verbot. Das Gericht ließ zwar keinen Zweifel daran, dass die Protokolle gefälscht seien, allerdings hob das Berner Obergericht das Urteil in der Berufungsverhandlung zwei Jahre später mit der Begründung wieder auf, dass die Protokolle nicht unzüchtig seien und das entsprechende Gesetz nicht angewendet werden dürfe. Das war natürlich Wasser auf die Mühlen der Nazis, die die Protokolle noch intensiver für ihre Propaganda zu nutzen verstanden.

Die Quellen
Aus welchen Quellen hat sich der Autor der Protokolle nun eigentlich bedient? Klar ist, dass er zumindest zwei Texte gekannt haben muss. Zum einen ein Buch des Deutschen Hermann Goedsche, der als Sir John Retcliffe zwischen 1856 und 1878 insgesamt 40 Ritter- und Abenteuerromane veröffentlichte. Darunter auch Biarritz (Berlin 1868), das im ersten Teil das Kapitel ›Auf dem Judenkirchhof in Prag‹ enthält, worin Goedsche die geheime Versammlung von Vertretern der Stämme Israels schildert.

Dieses Kapitel sollte sich bald schon verselbstständigen. Russische Antisemiten veröffentlichten es 1872 in St. Petersburg als Flugschrift, ehe es im Juli 1881 in veränderter Form in der französischen Zeitschrift Le Comtemporain erschien. Darin waren die verschiedenen Reden zu einer einzigen zusammengefasst worden – die ›Rede des Rabbiners‹. Wer diese Rede liest, findet zahlreiche Stellen, die inhaltlich genau dem entsprechen, was in den Protokollen steht.

Eine weitere Quelle waren die Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu (Dialogue aux Enfers entre Montesquieu et Machiavel), die der Pariser Rechtsanwalt Maurice Joly 1864 anonym in Brüssel veröffentlicht hatte. Nachweislich bilden rund zwei Fünftel des Textes dieser gegen Napoleon III. gerichteten Schrift die Grundlage für die Protokolle.

Wer den Text der Protokolle zusammenstellte, ist nicht bekannt. Wir verweisen an dieser Stelle auf den Historiker Norman Cohn, dessen verdienstvolle Arbeit zu dem Thema (Die Protokolle der Weisen von Zion. Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. Zürich: Elster 1998) uns hier als Quelle gedient hat. Cohn geht davon aus (S. 109), dass der in Paris lebende Journalist Elie de Cyon, ein gebürtiger Russe, aus Jolys Schrift ursprünglich Satire gemacht hatte, die gegen den russischen Finanzminister Sergej Witte gerichtet gewesen war. Nachdem der russische Geheimdienst Ochrana allerdings in den Besitz dieser Papiere gelangt sei, habe die Ochrana de Cyons Text in die Protokolle verwandelt, damit die Antisemiten darauf hätten hinweisen können, dass die jüdische Weltverschwörung von einem Juden enthüllt worden sei.

Ob diese Vermutung stimmt, muss freilich offen bleiben.