Ein Herz und eine Seele

Das Ehepaar Shelley nimmt in der Literaturgeschichte einen ganz besonderen Platz ein. Auch ihre Liebe war außergewöhnlich. In der Tat konnte Mary selbst nach Percys frühem Tod nicht ganz von ihrem Gatten lassen.


Wer kennt das nicht? Da fällt einem ein Andenken in die Hände, das so wertvoll und selten ist, dass man sich um keinen Preis der Welt davon trennen kann. Also behält man es und gibt es nicht mehr her. Ein Extremfall in dieser Hinsicht war sicherlich die Frankenstein-Autorin Mary Shelley, die das Herz ihres verstorbenen Gatten im eigenen Haus verwahrte und zeit ihres Lebens quasi als heilige Reliquie verehrte.

Percy Bysshe Shelley segelte für sein Leben gern, nur schwimmen konnte er leider gar nicht. So hatte er praktisch keine Überlebenschance, als am 8. Juli 1822 die Don Juan auf einem Törn an der Küste von La Spezia in einem Sturm unterging. Der berühmte Dichter (Ozymandias, Ode to the West Wind, Prometheus Unbound) wurde nicht ganz 30 Jahre alt. Nachdem einige Tage später die halbverweste Leiche Shelleys an Land geschwemmt worden war, kümmerte sich der Abenteurer Edward Trelawny, ein Freund Shelleys, persönlich um die Bergung der Leiche, die nach den Vorschriften der italienischen Gesundheitsbehörde eigentlich sofort an Ort und Stelle hätte begraben werden müssen.

Trelawny war es auch, der bei der anschließenden Feuerbestattung am 14. August 1822 beherzt in die Flammen griff, um Shelleys angekokeltes, wohl aber noch mehr oder weniger unversehrtes Herz vor dem Verbrennen zu bewahren. Während Shelleys Asche nach einigen Umwegen schließlich am 21. Januar 1823 auf dem protestantischen Friedhof an der Cestiuspyramide in Rom (Cimitero Acattolico per gli Stranieri al Testaccio) neben dem Grab von John Keats beigesetzt wurde, stritt sich Mary Shelley mit dem Schriftsteller und Herausgeber Leigh Hunt darum, wer wohl Shelleys Herz behalten dürfe. Hunt gab schließlich nach, Mary nahm das Herz mit nach Hause. Was sie die nächsten Jahre damit alles machte, ist nicht bekannt; allerdings weiß man, dass sie es zuletzt in einer Ausgabe von Shelleys Adonais aufbewahrte, wo es nach Marys eigenem Tod gefunden wurde.

Noch aber ist die Geschichte um Shelleys Herz nicht zu Ende. Es kam nämlich in den Besitz des gemeinsamen Sohnes Sir Percy Florence, der es noch bis zu seinem Tod im Jahre 1889 in Ehren hielt. Als Sir Percy starb, wurde er im Grab seiner Mutter beigesetzt – gemeinsam mit dem Herz des Vaters. Dort dürften die letzten Staubreste auch heute noch liegen.


Wir verweisen gerne auf das schöne Buch von Alexander Pechmann über Mary Shelley (Mary Shelley. Leben und Werk. Düsseldorf: Artemis & Winkler 2006), der dort auch über das Herz Percy Shelleys schreibt (→ Pechmann 2006, S. 147 f. und S. 268 f.).