Ellery Queen

Zu den großen Detektiven der Literaturgeschichte gehört auch ein junger Mann aus den Vereinigten Staaten: Ellery Queen löst seine Fälle auf ganz eigene Weise.


Wers wohl gewesen sein mag? Das ist die große Frage, die uns bei der Lektüre der meisten Kriminalromane immer wieder aufs Neue begegnet. Das gilt im besonderen Maße auch für die Fälle des berühmten amerikanischen Detektivs Ellery Queen, der Ende der 20er-Jahre zum ersten Mal in Erscheinung getreten ist.

So kompliziert die Sachlage auch sein mag, am Ende findet Ellery doch noch den Täter. Gelingt dies aber auch den Leserinnen? Manchmal schon, oft jedoch nicht. Die Suche nach der Lösung macht jedenfalls zum großen Teil den Reiz dieser Lektüre aus.

Anders als bei Sherlock Holmes beispielsweise, zeichnet hier der Detektiv übrigens selbst als Autor der Geschichten. Wer aber ist denn nun Ellery Queen? Ein versnobter Absolvent der Eliteuniversität Harvard. Und wie kommt er zu seinen Fällen? Über seinen Vater. Der ist Inspektor und nimmt schon mal ganz gerne die Hilfe seines Sprösslings in Anspruch. Wer täte das nicht?

Leider wissen wir nicht genau, wann Ellery Queen eigentlich geboren worden ist. Bekannt ist nur das Jahr, in dem er sein erstes Buch veröffentlicht hat: 1929. Damals war es ihm gelungen, den mysteriösen Fall um die Ermordung eines zwielichtigen Rechtsanwalts zu lösen. Das war der Beginn einer ganz und gar außergewöhnlichen Karriere, die mehrere Jahrzehnte währen sollte. Die Zahl seiner Fälle ist in der Tat sehr groß, wie wir der von der Krimi-Couch erstellten Liste entnehmen können.

Wir wollen uns hier aber ganz auf die ersten Bücher konzentrieren, die deutlich besser sind als die späteren Werke. Der beste Roman ist ganz sicherlich Das Ägyptische Kreuz (The Egyptian Cross Mystery, 1932), in dem Ellery Queen eine rätselhafte Mordserie aufzuklären hilft und Der Sarg des Griechen (The Greek Coffin Mystery, 1932), in dem es um den Mord an einem Kunsthändler geht. Diese beiden Bücher gehören zu den Klassikern der Kriminalliteratur. Jede Leserin, die sich für Kriminalstücke interessiert, sollte diese beiden Romane gelesen haben. Empfehlen können wir auch drei weitere Frühwerke:

  1. Das Geheimnis der weißen Schuhe (The Dutch Shoe Mystery, 1931)
  2. Das Rätsel der siamesischen Zwillinge (The Siamese Twin Mystery, 1933)
  3. Das Rätsel der chinesischen Mandarine (The Chinese Orange Mystery, 1934)

Gleichzeitig wollen wir aber auch eine Warnung aussprechen. Die späteren Romane sind deutlich schwächer als die frühen. Als Beispiel sei nur der Roman Blut im Schuh (There Was an Old Woman, 1943) genannt.

Zuerst ein Wort zur 2002 im DuMont Verlag erschienenen deutschen Fassung. So benötigt die heutige Leserin bei der Lektüre einige zusätzliche Informationen, die sie aber nicht erhält. So finden wir beispielsweise einmal einen Hinweis auf The Crimson Clue. Weiß die deutsche Leserin aber, worum es sich dabei handelt? Das Land von Oz ist wahrscheinlich eher bekannt, doch was ist mit Mother Goose (Mutter Gans, S. 18 und 51), jener imaginären Figur, die der französische Schriftsteller Charles Perrault in einer 1697 erschienenen Märchensammlung erstmals namentlich erwähnt hat und die meist als ältere Bauersfrau dargestellt wird?

Das ist nicht ganz unwichtig, da Blut im Schuh nur so mit Anspielungen auf jene Alte gespickt ist, angefangen beim Originaltitel über die Überschriften der ersten vier Kapitel bis hin zu dem Gedicht, das Ellery an einer Stelle zitiert. Fragt sich natürlich, ob die Bezugnahme auf jenen Kindervers noch einen halbwegs nachvollziehbaren Handlungsablauf ermöglicht? Wohl kaum.

Zuerst aber ein kurzes Wort zur Handlung. Bei der Alten, von der schon die Rede war, handelt es sich um Cornelia Potts, die Matriarchin der Familie Potts, die ihr Vermögen durch die Herstellung von Schuhen erworben hat. Kein Wunder, dass sie analog zu jenem bereits erwähnten Kindervers nur als alte, in einem Schuh lebende Frau bezeichnet wird.

Die Alte ist zum zweiten Mal verheiratet und hat sechs Kinder, drei von jedem Gatten. Die Kinder aus der ersten Ehe (Thurlow, Louella und Horatio) sind wahre Exzentriker, die Kinder aus der zweiter Ehe scheinen dagegen recht normal zu sein. Die Zwillinge Robert und Maclyn sind für die Geschäftsleitung zuständig, Sheila ist mit dem Anwalt Charley Paxton liiert.

Ellery lässt sich von diesem zu den Pottses einladen und erlebt gleich einmal mit, wie Thurlow seinen Bruder Robert zu einem Duell herausfordert. Ellery lässt zwar die Pistolenkugeln durch Platzpatronen austauschen, doch am Ende wird scharf geschossen, wobei Robert sein Leben verliert. Wer aber wars?

An einer Stelle grenzt Ellery die Zahl der Verdächtigen auf sechs ein (abgesehen vom Personal): die Alte, deren Ehemann Steve, Major Gotch (ein Gast), Louella, Maclyn und Horatio. Etwas enttäuscht bin ich freilich schon darüber, dass Ellery sich einfach aus diesem Kreis ausschließt. Zumindest aber sollte sein Vater, der ermittelnde Inspektor, diese Möglichkeit ins Auge fassen, da ja keiner weiß, ob sein Sohn beim Austausch der Kugel nicht irgendwie getrickst hat. Und was ist mit Sheila und Anwalt Paxton? Warum werden sie von vornherein von der Liste der Verdächtigen gestrichen?

Aber es kommt noch dicker. Auch Maclyn nämlich, Zwilling Nummer zwei, wird erschossen; und nicht nur das: der Mörder hat ihn noch dazu ordentlich ausgepeitscht. Das mag mancherorts zwar durchaus ein alltäglicher Vorgang sein, aber in einem solchen Zusammenhang?

Aber letztlich hat das auch wieder nur, genau wie die neben der Leiche stehende Suppe, mit jenem Kindervers zu tun, von dem schon einmal die Rede gewesen ist. Na ja, ganz ehrlich gesagt, hätten die Autoren sicher besser daran getan, auf eine solch abstruse Konstruktion zu verzichten. Die Idee, die Morde mit jenen Versen zu verbinden, taugt jedenfalls nicht viel.

Die ganze Geschichte ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen, von Logik kaum eine Spur, Mr Ellery Queen hat sicher schon sehr viel besser ausgesehen in seinem Leben. Immerhin lernen wir durch diesen Roman die junge Nikki Porter kennen, die nach Meinung vieler Queen-Enthusiasten als spätere Ehefrau Ellerys angesehen wird – vielleicht zu Recht, vielleicht auch nicht.

Postskriptum:
Natürlich war Ellery Queen nur ein fiktiver Charakter, der das Resultat eines Wettbewerbs war. Als nämlich das amerikanische McClure’s Magazine 1928 einen Preis in Höhe von 7500 US-Dollar für den besten Detektivroman auslobte, machte sich ein Autorengespann mit Feuereifer ans Werk: Frederick Dannay und Manfred Bennington Lee, zwei Cousins, die eigentlich Daniel Nathan und Manford Lepofsky hießen, ihre Namen aber bereits in der Jugend amerikanisierten.

Da sämtliche Manuskripte unter einem Pseudonym eingereicht werden mussten, entwickelten sie eine Figur, die als Sohn eines hochbekannten Inspektors der New Yorker Mordkommission in dessen Fälle eingebunden wird. Das Manuskript war gut, Dannay und Lee gewannen den ersten Preis. Wegen eines Besitzerwechsels wurde der Roman allerdings nicht in der Zeitschrift, sondern später als eigenständiges Buch veröffentlicht.