Jahrmarkt der Eitelkeit

Zu unseren Lieblingsbüchern gehört auch das Meisterwerk von William Makepeace Thackeray: Jahrmarkt der Eitelkeit.


Daten zum Buch

  • Autor: William Makepeace Thackeray
  • Titel: Vanity Fair, or, A Novel without a Hero
  • Genre: Roman
  • Erstveröffentlichung: Januar 1847 bis Juli 1848
  • Verlagsort der ersten Buchausgabe: London
  • Verleger: Bradbury and Evans
  • Erscheinungsjahr: 1848
  • Deutsche Erstausgabe: Der Markt des Lebens, ein Roman ohne Helden (Leipzig: B. G. Teubner Verlag 1848, Übersetzung: August Diezmann)

Ein schöner Tag ist es schon, dieser Junimorgen im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, als eine Familienkutsche vor Miss Pinkertons Erziehungsinstitut für junge Damen vorfährt, um gleich zwei Elevinnen besagten Instituts abzuholen – zwei junge Frauen, die allerdings kaum unterschiedlicher sein könnten in ihrem Wesen: Amelia Sedley die erste, eine ganz Liebe, folgsam, brav und sanft, 17 Jahre alt, der Vater Kaufmann von Beruf und durchaus wohlhabend zu nennen; Rebekka (vulgo Becky) Sharp die andere, eine ganz Kesse, dreist, respektlos und frech, 19 Jahre alt, früh verwaiste Tochter eines mittellosen englischen Malers und einer französischen Tänzerin.

Nun ist es in Miss Pinkertons Lehranstalt üblich, den Schulabgängerinnen jeweils ein Exemplar von Dr. Johnsons berühmtem Wörterbuch zu übergeben, doch während Amelia das Präsent demütig entgegennimmt, hat die wilde Becky mit dem Lexikographen offensichtlich nicht gar so viel am Hut und schmeißt das Buch – holterdiepolter – aus der Kutsche heraus einfach wieder in den Vorgarten zurück: Pardauz.

Die beiden jungen Grazien begeben sich zu den Sedleys, wo sie auf George Osborne treffen – einen rechten Schnösel, in den sich Amelia unglücklicherweise schon vor vielen Jahren verguckt hat. Aber nicht nur ihm begegnen sie dort, sondern auch Amelias Bruder John, der als Kolonialbeamter ein fettes Leben zu führen gewohnt ist. Er ist zwar keine Leuchte, besitzt dafür aber einen Vorzug, der seine Schwächen mehr als nur wettmacht: Ihm gehört eine Brieftasche, aber was für eine – sie muss wohl mindestens so dick sein wie er selbst. Folglich erwägt Becky sofort, ob sie sich nicht vielleicht an den Dicken ranmachen sollte? Ja, warum eigentlich nicht, schaden kanns jedenfalls nicht.

Sie legt sich also ins Zeug, kommt bei ihrem Versuch zuerst auch ganz gut voran, George Osborne weiß die Verbindung der beiden aber letztlich zu verhindern. Also muss Becky umdenken. Sie macht sich auf zur Familie des Landjunkers Sir Pitt Crawley, woselbst sie eine Stelle als Gouvernante antritt. Da gehts jetzt aber hoch her. Becky sorgt im Hause für so viel Stimmung, dass der alte Sir Pitt ihr doch glatt seine Hand anträgt, kaum dass seine Alte das Zeitliche gesegnet hat.

Nur leider kann Becky den Antrag nicht annehmen, denn ein unüberwindliches Hindernis steht dem im Wege: Sie ist nämlich schon längst verheiratet. An dieser Stelle, am Ende des 14. Kapitels, steht die Leserin vor der Frage, gegen wen denn nun die gute Becky wohl geheiratet haben mag.

Wir müssen heute auf die Antwort nicht mehr lange warten, die Leserin von damals jedoch hat es da nicht ganz so leicht gehabt. Das hatte nun damit zu tun, dass William Makepeace Thackeray seinen Roman zunächst nicht als Ganzes vorgelegt hat, sondern als Roman in Fortsetzungen. Diese umfassten jeweils drei bis vier Kapitel, sodass die zeitgenössische Leserin nach der vierten Nummer vor der Lektüre saß und sich einen Monat lang das Hirn darüber zermarterte, wer denn wohl in Beckys Fänge geraten sein mochte – nur um in der nächsten Ausgabe endlich zu erfahren, dass es ausgerechnet der Sohnemann ihres Brautwerbers ist, den sie sich geangelt hat.

Freilich ist das ein gewisses Problem, denn durch die Heirat verliert Rawdon Crawley das Erbe seiner Tante, sodass er von Stund an ein bescheidenes Leben zu führen gezwungen ist. Dafür aber entpuppt sich der Gardeoffizier als recht patenter Ehemann – ganz im Gegensatz übrigens zu George Osborne, der unterdes seine Verlobte Amelia Sedley heiraten muss.

Viel Lust hat er zwar nicht dazu, da Amelia durch den Bankrott ihres Vaters inzwischen so arm ist wie eine Kirchenmaus, doch er kann ja nichts machen: Ein Ehrenmann müsse nun mal zu seinem Wort stehen, sagt Osbornes Kumpel William Dobbin, an der Hochzeit führe kein Weg vorbei. Das mag nobel gesprochen sein, doch ein bisschen blöde ist es auch, denn Sie sind es ja selbst, der ganz gerne etwas mit Amelia anfangen würde, nicht wahr, Mr. Dobbin? Es offen auszusprechen – das traut sich der Dummerian freilich nicht.

Nun ist Amelia also an den doofen Osborne gebunden, der nach der Hochzeit nicht nur von seinem Vater enterbt wird, sondern darüber hinaus auch noch ein lustiges Leben zu führen beginnt, sich wie nebenbei erst einmal an die gute Becky ranmacht und ein Techtelmechtel mit ihr anknüpft. Wahrscheinlich aber tut Osborne ganz recht daran, ein wenig über die Stränge zu schlagen; lange zu leben hat er nämlich ohnehin nicht mehr. In der Schlacht von Waterloo gibt er den Löffel ab und lässt Amelia in tiefstem Elend zurück, der gemeinsame Sohn kommt in die Obhut des Schwiegervaters.

Und Becky? Die erobert einen alten Lustgreis und macht mit dessen Hilfe eine so steile gesellschaftliche Karriere, dass sie schließlich sogar am königlichen Hof eingeführt werden kann. Beckys Geschick erfährt erst dann eine Wendung, als ihr Ehemann endlich begreift, in welchem Verhältnis seine Ehefrau und der alte Lord Steyne (der Lustgreis) zueinander stehen.

Rawdon verstößt Becky, die sich von nun an auf dem europäischen Kontinent als Abenteurerin und Glücksspielerin durchs Leben schlagen muss. Amelia hinwiederum könnte nach dem Tode ihres Gatten von vorne anfangen, doch treudumm wie sie nun mal ist, verherrlicht sie ihren verstorbenen Alten, weswegen sie mit den Avancen Dobbins so gar nichts anzufangen weiß. Seine finanzielle Unterstützung nimmt sie – Schmarotzerin, die sie ist – dennoch gerne an.

Nachdem sie sich jahrelang nicht mehr gesehen haben, treffen Amelia und Becky während einer Rheinreise wieder einmal aufeinander. Indem sie Amelia die Augen über Osborne öffnet, kann Becky der Beziehung zwischen Amelia und Dobbin doch noch auf die Sprünge helfen. Wie, den habe sie nicht vergessen können, ihn, diesen selbstsüchtigen Schaumschläger, diesen aufgeblasenen Stutzer, diesen blödköpfigen Einfaltspinsel, der weder Witz noch Benehmen noch Herz besessen, ihn also, den ihr Freund mit dem Bambusrohr ebenso weit überrage wie die Königin Elisabeth sie, Amelia, selbst:

›Could’nt forget him!‹ cried out Becky, ›that selfish humbug, that low-bred cockney dandy, that padded booby, who had neither wit, nor manners, nor heart, and was no more to be compared to your friend with the bamboo-cane than you are to Queen Elizabeth!‹

[Erstausgabe: Chapter LXVII, S. 618]

Zum Schluss macht Becky ihrer Freundin klar, dass Osborne sich nie etwas aus ihr (Amelia) gemacht habe und schon in der ersten Woche nach der Eheschließung mit ihr (Becky) Liebesschwüre ausgetauscht habe. Jetzt darf Dobbin also doch noch seine Amelia heiraten, jetzt aber erst, da er endlich erkannt hat, dass seine Amelia in der Tat nicht viel mehr ist als eine gewöhnliche Nassauerin – nun ja.

Fußnote zu Queen Elizabeth:
Nicht Elisabeth II. natürlich, sondern Elisabeth I., jene jungfräuliche Königin, deren Regierungszeit (1558 bis 1603) als Elisabethanisches Zeitalter in die Geschichte eingegangen ist. Elisabeths größte Rivalin war natürlich Maria Stuart, die sie schließlich am 8. Februar 1587 hinrichten ließ.

Da Maria Stuart enthauptet wurde, stellt sich hier übrigens auch die Frage, ob, und wenn ja, wie lange sie nach dem Beilhieb noch weitergelebt haben mag. Klar, die meisten Legenden in diesem Zusammenhang sind wenig überzeugend. Dass Klaus Störtebeker nach seiner Hinrichtung ohne Kopf an elf Matrosen seiner Mannschaft vorbeigelaufen sein soll, glauben wir ebenso wenig wie die Geschichte des Dionysius von Paris, der nach seiner Enthauptung am Montmartre seinen Kopf genommen haben und sechs Kilometer weit bis zum Standpunkt der heutigen Kathedrale von Saint-Denis gelaufen sein soll. Aber rein wissenschaftlich betrachtet, scheint ein kurzzeitiges Weiterleben durchaus möglich zu sein (→ The Straight Dope).