Zu unseren Lieblingsbüchern gehört auch ein Roman des französischen Schriftstellers Denis Diderot: Jakob und sein Herr.
Daten zum Buch
- Autor: Denis Diderot
- Titel: Jacques le fataliste et son maître
- Genre: Roman
- Verlagsort der Erstausgabe: Paris
- Verleger: Buisson
- Erscheinungsjahr: 1796
- Deutsche Erstausgabe: Jakob und sein Herr (Berlin: Johann Friedrich Unger 1792, Übersetzung: Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius)
Man kennt das ja in der heutigen, modernen Zeit: Plagiieren ist groß in Mode, es wird kopiert und eingefügt, was das Zeug hält – fast immer und überall. Ein konkretes Beispiel hierfür brauchen wir an dieser Stelle wohl nicht anzuführen. Es genügt zu sagen, dass man sich nur einmal die tagesaktuellen Zeitungen (oder die entsprechenden Netzauftritte) angucken muss, um entsprechende Fälle zu finden – sei es in der Politik, sei es – und dort im besonderen Maße – im Journalismus; solche Vorkommnisse gibt es jedenfalls mehr als genug.
Heute ist die Aufregung darüber zumeist riesengroß, früher aber war das alles noch etwas anders. Man schaue sich nur einmal den Woyzek an, den der junge Georg Büchner reichlich skrupellos den gerichtsmedizinischen Gutachten des Dr. Johann Christian August Clarus über die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck entnommen hat. Oder Dantons Tod, in welchem Büchner wortgetreu aus den Redeprotokollen der Französischen Revolution zitiert (und das alles, ohne auch nur ein einziges Mal darauf hinzuweisen – ach du lieber Gott). Das weiß jedes Kind, und trotzdem gilt Büchner als großer Dichter – und warum auch nicht?
Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem großen französischen Denker Denis Diderot, der, falls überhaupt, heutzutage vor allem als Enzyklopädist bekannt ist. Diderot war aber auch ein Romancier, auch wenn er selbst in seiner Geschichte von Jakob, dem Fatalisten, das ganz anders gesehen hat, erinnert er uns dort doch immer wieder daran, dass es sich bei der Jakobserzählung um keinen Roman handle. An vielen Stellen macht er sich sogar über die handelsüblichen Gebräuche der Romanautoren lustig. Aber das nur am Rande.
Klar ist jedenfalls, dass uns Diderots Geschichte ein übers andere Mal fatal an jene des Lorenz Sterne erinnert, der in seinem Tristram Shandy das Leben und die Meinungen seines Helden uns vorzutragen anstellig macht; nur leider erfahren wir in sämtlichen neun Büchern weder von Tristrams Leben noch von seinen Meinungen allzu viel. Das fällt einem schon ins Auge.
Auch in der Geschichte um Jakob, in der wir, wie uns Monsieur Diderot immer wieder versichert, über das Liebesleben und die damit verbundenen Abenteuer des Helden aufgeklärt werden sollen, herrscht, was dieses spezielle Thema angeht, weitgehend Funkstille; pikante Details teilt uns der Verfasser leider nicht mit (und wie gerne hätten wir darüber Bescheid gewusst), sodass wir am Ende des Berichts in dieser Hinsicht so klug sind als wie zuvor.
Zudem gibt es in beiden Büchern, bei Sterne wie bei Diderot, eine Handlung, die eigentlich gar keine ist und noch dazu dauernd von Einsprengseln aller Art unterbrochen wird. Ähnlich sind sich die beiden großen Humoristen also in der Tat, einen Unterschied gibt es aber doch. Während Sterne verzweifelt sich darum zu bemühen scheint, den großen Romanautoren nachzueifern (was ihm aber einfach nicht gelingen will), macht sich Diderot um die Regeln der zeitgenössischen Erzählkunst bewusst keine allzu großen Gedanken.
Nach einem allwissenden Erzähler hält man deshalb vergebens Ausschau, auf die gewohnte Kapiteleinteilung müssen wir auch verzichten, zudem, wie gesagt, springt die Erzählung, ganz ähnlich wie bei Sterne, unregelmäßig von einem Punkt zu einem ganz anderen, weit entfernten. Das ist auch der Grund, weshalb die Erzählung von Fachleuten gerne als Anti- oder Metaroman bezeichnet wird; das klingt sehr hochgestochen, und wer mag, kann damit hausieren gehen – wir aber können gut darauf verzichten.
Letztlich handelt es sich bei Diderots Werk schlicht und ergreifend um eine Variante des Romans, so ähnlich wie es Hunderte von verschiedenen Varianten des Schachspiels gibt. (Als Beispiele seien an dieser Stelle nur das allbekannte Räuberschach, das Märchenschach, Capablanca-Schach, Berolinaschach, Einsteinschach, Würfelschach oder Omegaschach genannt. Zu diesem hier eine Partie zwischen den beiden Großmeistern Alex Sherzer und Judit Polgár.)
Worum geht es nun aber eigentlich in Diderots Erzählung? Der Diener Jakob reist zusammen mit seinem namenlosen Herrn quer durch Frankreich, wobei sie sich, um der Langeweile vorzubeugen, miteinander unterhalten – über philosophische Themen zum Beispiel, und über Jakobs Amouren natürlich. Doch, wie oben bereits einmal erwähnt, kommt er nicht so recht voran damit, zu oft wird er dabei von etwelchen Zwischenfällen unterbrochen.
Woran das wohl liegen mag? Vielleicht daran, dass auf der Rolle dort oben, wie der Fatalist Jakob meint, alles längst festgeschrieben, frei sich zu entscheiden also ganz und gar unmöglich sei? Das mag sein, zumal ja auch am Schluss, der gar kein richtiger Schluss ist, der Text nach der Verhaftung Jakobs unvermittelt abbricht, einfach so. Auch dies ist offenbar an höherer Stelle festgelegt worden.
Dagegen kann wohl niemand etwas unternehmen, was oben entschieden wird, müssen wir, ganz fatalistisch betrachtet, hienieden still akzeptieren. In dem Wissen aber, wie viele vergnügliche Stunden uns die weitere Lektüre noch bereitet hätte, sind wir natürlich unendlich traurig über das unvermittelte Ende, das nach unserem Dafürhalten noch lange auf sich hätte warten lassen dürfen, sehr sehr lange sogar. Aber was will man machen, ces’t la vie, so ist das Leben.