Kestner und Goethe

In den Leiden des jungen Werther verarbeitete Goethe eine wahre Geschichte. Auch der Legationssekretär Johann Christian Kestner und die junge Charlotte Buff spielen darin eine entscheidende Rolle.
Goethe war bekanntermaßen kein Kostverächter. Diese Erfahrung musste auch der Legationssekretär Johann Christian Kestner machen, dem in Goethe für kurze Zeit einmal ein Rivale erwuchs. Dies kam so:

Im Alter von nicht ganz 23 Jahren als Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar tätig, lernte Goethe am 9. Juni 1772 auf einem Tanzball in Volpertshausen Kestners Verlobte kennen, die 19-jährige Charlotte Buff. Goethe wollte sie dennoch erobern, was aber an Lottes Widerstand scheiterte, die ihm nicht mehr als einen zarten Kuss gönnte.

Alles halb so wild, möchte man meinen, wenn nicht Goethe später beide literarisch in den Leiden des jungen Werther verewigt hätte. Kestner muss jedenfalls ziemlich entsetzt gewesen sein über die Rolle, die er in dieser Tragödie spielen musste. Das ist allerdings nur zu verständlich, erkannten seine Zeitgenossen in ihm doch das Vorbild für Albert – und das war Kestner gar nicht recht.

Dagegen sah Lotte, die lange nicht viel anderes zu tun hatte als Kinder in die Welt zu setzen (acht Söhne und vier Töchter), die Sache sehr viel lockerer. Dies vielleicht auch deshalb, weil es ihr dank ihrer Berühmtheit sehr viel leichter fiel, die Karrieren der Söhne zu fördern.

Übrigens ist Lotte, als sie im Jahr 1816 für einige Wochen in Weimar weilte, Goethen noch einmal begegnet. Allzu spannend kann das Wiedersehen aber nicht gewesen sein, wenn wir uns Goethes enthusiastischen Tagebucheintrag vom 25. September 1816 einmal genauer anschauen:

›Gedicht zur Feier des Dienst-Jubiläums (d. 27. Sptbr. 1816) des Herrn Staatsministers von Voigt Excellenz. Allerley expedirt und besorgt. Schauspieler Haide, wegen den Jägern. Geologie von Baden. Mittag Riedels und Mad. Kästner von Hannover. Ankunft des Erbgroßherzogs und Gemahlin. Abends Fidelio. Nelsons Briefe an William Locker.‹

[Sophienausgabe, III. Abteilung: Tagebücher Band 5, S. 273]

Trotzdem hat Thomas Mann einen ganzen Roman darüber geschrieben (Lotte in Weimar).