Max Brod ignoriert Kafkas Wunsch

Franz Kafka hat zu Lebzeiten nur wenige Texte veröffentlicht. Max Brod ist es zu verdanken, dass die restlichen Manuskripte erhalten geblieben sind.


Dass wir überhaupt etwas vom Prozess des Bankbeamten Josef K. wissen, haben wir Max Brod zu verdanken. Denn eins steht zweifelsfrei fest: Kafka wollte sein Werk nicht veröffentlicht sehen. Testamentarisch hatte er verfügt, seinen gesamten Nachlass zu verbrennen – ohne jede Ausnahme. Doch sein Nachlassverwalter Max Brod tat nichts dergleichen, sondern machte den Nachlass der Öffentlichkeit zugänglich.

Das war Pech für Kafka, Glück aber für die Leserin. Wie eindeutig die Anweisung Kafkas tatsächlich gewesen ist, ist schwer zu sagen. Brod jedenfalls war der Meinung, Kafkas Wunsch guten Gewissens ignorieren zu können. Und wenn es einer gewusst haben muss, dann ja wohl Brod, der schon seit 1902 gut mit Kafka bekannt war. Später besorgte Brod auch die erste Kafka-Gesamtausgabe, die von 1935 an erschien.

Unter den Papieren in Kafkas Nachlass fand sich auch ein Manuskript, das Kafka im August 1914 zunächst voller Tatendrang begonnen hatte. So sollte es gerade einmal zwei Monate dauern, bis sich knapp 200 Manuskriptseiten angesammelt hatten. Doch damit war es mit seiner Schreibwut auch schon wieder vorbei. Vier Monate und rund 100 Seiten später, legte er den Text aus der Hand, ohne ihn wieder hervorzuholen.

Weshalb aber tat er das? Vielleicht weil er keinen Sinn im Aufheben misslungener Arbeiten sah, wie er Anfang 1918 in einem Brief an Max Brod behauptete. Nur einen einzigen kleinen Abschnitt fand Kafka einer Veröffentlichung wert: die Türhütergeschichte aus dem Kapitel Im Dom, die unter dem Titel Vor dem Gesetz einige Male zu seinen Lebzeiten gedruckt worden ist.

Der Prozess ist also ein Fragment geblieben; als Max Brod den Text 1925 als erstes Werk aus dem Nachlass herausgab, merkte man dies aber nicht unbedingt, da Brod dem Ganzen den Schein der Vollendung verliehen hatte. So ließ er ganze Abschnitte einfach beiseite, erst später nahm er auch die ausgelassenen Teile in seine Neuausgaben mit auf.

Noch ein Wort zu Kafkas Arbeitsweise. Normalerweise schrieb er seine Texte linear, entwickelte seine Geschichte also Schritt für Schritt aus einer Szene heraus. Beim Prozess war das anders. So ist das Schlusskapitel zugleich mit dem Anfangskapitel entstanden, das Ziel, wohin der Weg führen sollte, war also bereits zu Beginn vorgegeben.

Und noch etwas: Den Text schrieb Kafka nicht auf separatem Papier nieder, sondern nutzte dafür insgesamt zehn Quarthefte, die ihm auch als Sammelstelle diverser Erzählungen und Tagebuchaufzeichnungen dienten. Später löste er die einzelnen Textabschnitte aus den Quartheften heraus und unterteilte sie in zwei Konvolute. Das erste bestand aus den fertigen Kapiteln, das zweite aus den Fragmenten; derart aufgeteilt, in Kapitel und Fragmente, ist der Roman heute für die Leserin zugänglich.