Poe und der Schachtürke

Selbst die besten Schachspieler der Welt haben heute gegen gute Programme keine Chance mehr. Früher war das noch anders. Umso verblüffter waren die Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts, als der Schachtürke auftauchte. Auch Edgar Allan Poe besuchte seine Vorstellungen.


Edgar Allan Poe war für seinen Spürsinn bekannt. Immerhin geht der erste Literaturdetektiv der Welt auf den Schriftsteller zurück: C. Auguste Dupin machte sich im Jahre 1841 mit der Lösung des Doppelmords in der Rue Morgue unsterblich.

Genauso methodisch wie der von ihm erdachte Detektiv war Poe schon ein paar Jahre früher vorgegangen, als er sich daran gemacht hatte, das Rätsel des Schachtürken zu lösen. Ein Automat, der ein so kompliziertes Spiel wie Schach beherrschte – das war schlichtweg unmöglich, zumindest zu Poes Lebzeiten. Und Poe wusste das.

Beim Schach ist es nämlich so: Maschinen sind heutzutage das Maß aller Dinge, kein Spieler der Welt hat eine reelle Chance, einen Wettkampf erfolgreich gegen einen Computer zu bestreiten. In den 90ern ist das noch anders gewesen. Damals glaubte man sogar, dass ein Mensch niemals einer Maschine unterliegen würde.

Dies änderte sich erst, als der damalige Weltmeister Garri Kasparow 1997 gegen den IBM-Supercomputer Deep Blue den Kürzeren zog. Damit begann der Siegeszug der Apparate. Inzwischen kann jeder Interessierte auf seinem Rechner ein entsprechendes Programm installieren, dessen Schachstärke die der besten Großmeister bei weitem übertrifft.

Im 18. Jahrhundert sah die Situation natürlich ganz anders aus. Damals konnte von Maschinen noch keine Rede sein, der Mensch herrschte ganz alleine über die 64 Felder. Wie groß war deshalb das Erstaunen, als im Jahr 1769 plötzlich der Schachtürke auftauchte. Was war der Schachtürke? Ein Apparat, der aus einer lebensgroßen Figur bestand, die in ihrer türkischen Tracht vor einem großen Kasten saß, der etwa 1 Meter lang war, 60 Zentimeter tief und 85 Zentimeter hoch.

Erfinder war Baron Wolfgang von Kempelen (1734 bis 1804), der mit seinem technischen Meisterwerk Kaiserin Maria Theresia zu beeindrucken suchte – was ihm auch gelang. Denn es sah nicht so aus, als ob ein Mensch im Kasten säße. Das Volk schwankte zwischen Begeisterung und Entsetzen. Eine Maschine, die selbsttätig Schach spielen konnte – das war ja großartig; eine Maschine, die selbsttätig spielen konnte – das war aber auch erschreckend.

Nach Kempelens Tod erwarb der bekannte Mechaniker Johann Nepomuk Mälzel (1772 bis 1838) den Schachtürken und ging mit ihm auf Tournee, die ihn schließlich auch in die USA führte. Dort besuchte Poe mehrere Aufführungen – und veröffentlichte seinen Aufsatz ›Maelzel’s Chess Player‹, in dem er detailliert darlegte, wie die Maschine seiner Meinung nach funktionierte. Er bestätigte freilich nur das, was schon andere vor ihm nachgewiesen hatten: dass nämlich in der Maschine ein Mensch saß. Der anspruchsvollste Text stammte aber ganz zweifelsohne von Poe.

Das Rätsel war gelöst, die Faszination war dahin. Im Jahr 1854 wurde der Schachtürke bei einem Brand zerstört. Poe aber übernahm die Technik seiner Beweisführung, um in seinen Detektivgeschichten noch ganz andere Fälle zu lösen.