Prophetische Gabe? Vom ersten Untergang der Titanic

Besaß der Schriftsteller Morgan Robertson die Sehergabe? Immerhin hat er in einem Buch, das lange vor dem Untergang der Titanic erschienen ist, das Unglück beschrieben. Oder war das alles nur ein Zufall?


Morgan Andrew Robertson (1861 bis 1915) war ein amerikanischer Schriftsteller, der in gewissen Kreisen als so etwas wie ein Seher gilt. Dies deshalb, weil er im Jahre 1898 im New Yorker Verlag M. F. Mansfield einen 145 Seiten starken Kurzroman namens Futility auf den Markt gebracht hat, in dem angeblich der Untergang der Titanic, die in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912 im Atlantik versunken ist, vorerzählt worden sein soll.

Hier eine Liste der bemerkenswertesten Übereinstimmungen, die Martin Gardners Buch The Wreck of the Titanic Foretold? (Buffalo: Prometheus 1998) entnommen sind:

  • Robertsons Schiff heißt Titan.
  • Beide Schiffe gelten als größte Passagierschiffe der Welt.
  • Die Titanic hat zwar nur etwa 2200 Gäste an Bord, hätte aber, so wie die Titan, etwa 3000 Menschen aufnehmen können.
  • Die Titanic ist 882,5 Fuß lang (knapp 269 Meter), die Titan etwa 800 Fuß (244 Meter).
  • Beide Schiffe sind komplett aus Stahl, besitzen drei Schrauben und zwei Maste
  • Beide Schiffe gelten als unsinkbar, da sie jeweils mit wasserdichten Schotts ausgestattet sind, die Titan, mit 19, mit 16 die Titanic.
  • Der Rauminhalt der Titanic beträgt 46.328 Bruttoregistertonnen, der der Titan exakt 45.000 BRT.
  • Die Wasserverdrängung der Titanic liegt bei 60.000 Tonnen, die der bei Titan 45.000 (in der Version von 1898, in einer späteren Fassung von 1912 steigt es auf 70.000 in Kapitel 1, 75 000 in Kapitel 7).
  • Die Titanic besitzt eine Leistung von 46.000 Pferdestärken, die der Titan liegt bei 40.000 (1898) und 75.000 (1912).
  • Die Geschwindigkeit der Titanic beträgt etwa 22 Knoten, als es den Eisberg trifft, die der Titan bei 25 Knoten.
  • Beide Schiffe sind im April unterwegs.
  • Beide befinden sich auf der Route zwischen England und New York: Die Titanic fährt von England nach New York, die Titan von New York nach England.
  • Beide stoßen etwa um Mitternacht mit einem Eisberg zusammen.
  • Beide treffen den Eisberg an der Steuerbordseite.
  • Der Ort des Zusammenstoßes ist nur wenige 100 Meilen voneinander entfernt.
  • Beide Schiffe besitzen zu wenig Rettungsboote: die Titanic hat 20, die Titan 24.
  • Beide Schiffe sind im Besitz einer britischen Firma mit Sitz in Liverpool, in beiden Fällen besitzen die Firmen eine Zweigstelle auf dem Broadway in Manhattan; die Haupteigentümer sind jeweils Amerikaner.

Dies mag auf den ersten Blick beeindruckend sein, doch ist es das wirklich? Die Wahrscheinlichkeit solcher Übereinstimmungen auszurechnen, ist mathematisch zwar nicht möglich, aber versuchen wir es einmal mit dem gesunden Menschenverstand: Morgan Robertson war mehrere Jahre lang zur See gefahren und deshalb mit den Einzelheiten der Seefahrt wohlvertraut. Er hatte schon vorher einige Geschichten über die See geschrieben, nun endlich wollte er die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten darstellen.

Wie macht er das nun? Zuerst einmal erfindet er das größte Passagierschiff, das es je gegeben hat. Ist das so schwer? Durchaus nicht. Denn die New York Times hatte bereits am 17. September 1892 berichtet, dass die White Star Company, die Besitzerin der Titanic, die Belfaster Firma Harland and Wolff damit beauftragt hatte, ein Schiff zu bauen, das in Größe und Geschwindigkeit alle anderen in den Schatten stellen sollte. Das Schiff sollte Gigantic heißen, etwa 231 Meter lang und 22 Knoten schnell sein (mit einer Maximalgeschwindigkeit von 27 Knoten), drei Schrauben und 45.000 PS haben.

Diese Gigantic wurde zwar damals in der geplanten Form nicht gebaut, ihre Maße ähneln aber denen der Titan. Könnte Robertson davon gewusst haben? Durchaus, immerhin war er ein Fachmann. Der Schritt vom Namen Gigantic zu Titan(ic) ist auch kein allzu großer. Freilich muss das Schiff angeblich unsinkbar sein, denn so ist der dramatische Effekt viel größer.

Da Robertson sich mit der Materie auskennt, entwickelt er die entsprechenden Maßnahmen wie Schotts usw. Das Unglück sollte sich in Friedenszeiten ereignen, da bleibt also nichts anderes als eine Kollision mit einem Eisberg, mit denen die Schiffe damals in jedem Jahr im Nordatlantik zusammenstießen, besonders zu Beginn des Frühlings, im April etwa.

Ferner war Robertson bekannt, wie gefährlich es für ein Schiff ist, wenn es an der Seite aufgeschlitzt wird. Besser ist bekanntermaßen, wie er selbst in Kapitel 7 ausführt, den Eisberg frontal zu rammen. Auch über die Zahl der Rettungsboote muss nicht viel gesagt werden.

Es war damals nun mal gang und gäbe, dass die Kapazität der Rettungsboote nicht dazu ausreichte, in einem Notfall sämtliche Passagiere zu retten. Auch die Verantwortlichen der White Star Line haben sich nur an die damals gültigen Vorschriften gehalten. Dass Robertson hellsehen konnte, darf also durchaus bezweifelt werden.