Schillers faule Äpfel

Künstler sind für ihre zahlreichen Schrullen bekannt. Auch Friedrich Schiller hatte eine erstaunliche Marotte: Er liebte den Duft verfaulter Äpfel.


Es gibt wohl nicht viele Menschen, die verfaulte Äpfel angenehm finden. Bei Friedrich Schiller liegen die Dinge freilich anders. Ohne den Geruch alter, verfaulender Äpfel konnte er nämlich nicht arbeiten – so zumindest lautet die Sage, die auf keinen Geringeren als Goethe zurückzuführen ist. Dieser erzählte sie Eckermann, der sie getreulich in sein Notizbuch (Gespräche mit Goethe. Magdeburg: Heinrichshofen 1848) aufnahm:

Ich besuchte ihn eines Tages, und da ich ihn nicht zu Hause fand und seine Frau mir sagte, daß er bald zurückkommen würde, so setzte ich mich an seinen Arbeitstisch, um mir Dieses und Jenes zu notiren. Ich hatte aber nicht lange gesessen, als ich von einem heimlichen Uebelbefinden mich überschlichen fühlte, welches sich nach und nach steigerte, so daß ich endlich einer Ohnmacht nahe war. Ich wußte anfänglich nicht, welcher Ursache ich diesen elenden, mir ganz ungewöhnlichen Zustand zuschreiben sollte, bis ich endlich bemerkte, daß aus einer Schieblade neben mir ein sehr fataler Geruch strömte. Als ich sie öffnete, fand ich zu meinem Erstaunen, daß sie voll fauler Aepfel war. Ich trat sogleich an ein Fenster und schöpfte frische Luft, worauf ich mich denn augenblicklich wieder hergestellt fühlte. Indeß war seine Frau wieder hereingetreten, die mir sagte, daß die Schieblade immer mit faulen Aepfeln gefüllt seyn müsse, indem dieser Geruch Schillern wohlthue und er ohne ihn nicht leben und arbeiten könne.

[Dritter Theil: 8. Oktober 1827, S. 196 f.]

Bestätigt wird diese Darstellung von Dr. Carl Vogel, der als behandelnder Arzt im Jahr nach Goethes Tod einen Bericht über Goethes letzte Erkrankung verfasste. Darin erzählt Vogel, dass Schiller die ›Ausdünstungen faulender Aepfel‹ liebte, was Vogel in einer Fußnote ausführlich kommentierte:

Ich habe diess von Goethe selbst. Eines Tages will er Schiller besuchen, findet ihn nicht zu Hause und setzt sich, in Erwartung von dessen Rückkehr an den Schreibtisch. Da wird ihm zuerst ein eigner Geruch lästig und bald befällt ihn Betäubung, welche sich schnell bis zur Bewusstlosigkeit steigert und nicht eher wieder verschwindet, bis man ihn an die freie Luft gebracht hat. Als Ursache dieses Unwohlseyns wird dann bald eine grosse Anzahl faulender Aepfel entdeckt, die Schiller aus Wohlgefallen an der sich aus ihnen entwickelnden Luft in den Fächern zu beiden Seiten seines Arbeitstisches angehäuft hatte.

[Journal der practischen Heilkunst: 2/1833, S. 25]