Über den Alexandriner

Dichter benutzen verschiedene Formen, um ihren Gedichten eine bestimmte Gestalt zu geben. Dazu gehört auch der Alexandriner.


Der Alexandriner ist ein sechshebiger jambischer Vers mit einer Binnenzäsur nach der dritten Hebung, bestehend aus 12 (bei stumpfen, männlichen Ausklang) oder 13 Silben (bei klingendem, weiblichen Ausklang). Hier ein Beispiel aus der Feder Goethes:

Daneben braucht man auch, ich kann es nicht verschweigen,
Entferntes Holz und Kalk und Schiefer und dergleichen.

[Faust. Der Tragödie zweiter Teil: Vierter Akt,  V. 11.029 f.]

Seinen Namen erhielt der Alexandriner von den Alexanderromanen (Roman d’Alexandre), in denen die Taten Alexander des Großen beschrieben werden. Zu Alexander so viel: 356 AC als Sohn Philipps II. geboren, war er für 13 Jahre König von Makedonien. Nachdem sein Vater im Jahre 336 ermordet worden war, kam er 20-jährig als Alexander III. an die Macht. (Dass alle anderen Thronanwärter zuvor niedergemetzelt wurden, versteht sich von selbst.)

Und schon machte er sich froh ans Werk: Erst zog er gegen die Thraker und Illyrer ins Feld, warf einen Aufstand in Griechenland nieder, bekämpfte die Perser, eroberte ganz Kleinasien, siegte bei Issos über Dareios III., unterwarf Syrien, Palästina und Ägypten, ließ sich zum Pharao ausrufen, gründete Alexandria, brannte Persepolis nieder, drang bis nach Taschkent vor, überquerte das Hindukusch-Gebirge, kam bis an den Fuß des Himalaja, erreichte den Indischen Ozean, marschierte durch den Südiran bis nach Susa, verheiratete massenweise Perserinnen mit Makedonen und Griechen, kam nach Babylon, wo er im Alter von 33 Jahren starb. Todesursache war nach Ansicht des Pathologen Hans Bankl eine Malaria tropica (→ Bankl 1992, S. 39).

All diese Taten des Alexander hat nun ein anderer Alexander, Alexandre de Bernay, zusammengetragen und, so wie es die Klingonen gerne tun, in seinen Liedern besungen. Er redigierte die bereits vorhandenen Epen und bettete sie in eine Handlung, die er selbst verfasste. Der Roman fängt an mit der Geburt und Jugend Alexanders (Autor: Bernay), geht weiter mit der Eroberung von Gaza (Autor: Eustache), setzt sich fort mit dem Indienfeldzug (Autor: Lambert li Tors), ehe Alexanders Tod das Ganze zu einem Schluss bringt (Autor: Bernay). Das alles fügte Bernay zu einem Epos von 20.000 Versen zusammen (→ Jens 1998, 18, S. 89).

Da der Alexandriner eine französische Geburt ist, gehört natürlich auch ein französischer Alexandriner hierher. Eins der schönsten Beispiele findet sich im zweiten Band der Asterix-Comics (Asterix und Kleopatra). Da streiten sich Kleopatra und Cäsar wieder einmal so sehr, dass sich Kleopatra in ihrem Zorn dazu versteigt, Cäsar unbedingt die Größe ihres Volkes beweisen zu wollen: In nur drei Monaten, sagt Kleopatra, werde ihr Volk ihm, Cäsar, einen prunkvollen Palast bauen. Das kann nun wirklich nicht gut gehen, zumal sie mit der Leitung dieses Unternehmens ausgerechnet Numerobis beauftragt, den angeblich fähigsten Architekten Alexandrias. Numerobis ist aber eine ziemliche Null, weiß nicht links von rechts zu unterscheiden, ist mit der Aufgabe also völlig überfordert. Aber er kennt da einen Druiden … So macht er sich auf den Weg, kommt endlich ins verschneite Dorf und begrüßt seinen alten Kumpel mit den Worten, er sei sehr glücklich, ihn, den lieben monsieur, zu sehen.

Worauf Miraculix sich an die umstehenden Dorfbewohner wendet und wie beiläufig feststellt, dass dies ein Alexandriner sei.