Tolstoi braucht Zeit

Manchmal entwickelt sich ein Romanprojekt anders als geplant. Leo Tolstoi kann ein Lied davon singen.


Krieg und Frieden ist ein Riesenwerk. Dabei hatte alles noch ganz harmlos angefangen. Ursprünglich hatte Tolstoi nur über die Dekabristen etwas schreiben wollen, über jene adligen Offiziere, die sich anno 1825 gegen Zar Nikolaus I. verschworen hatten, dafür aber hingerichtet oder, was ja nicht ganz so unerfreulich ist, zumindest nach Sibirien verbannt worden waren. Genau dies war auch der Ausgangspunkt für Tolstois Plan: Der Held des Romans kehrt nach 30 Jahren in sibirischer Gefangenschaft nach Russland zurück.

Als es aber darum ging, den Hintergrund für den Aufstand von 1825 darzulegen, begann Tolstoi damit, die Lebensgeschichte seines Helden bis zum Einmarsch Napoleons in Russland darzulegen. So sammelte er reichlich Material darüber, der Stoff wuchs und wuchs – und plötzlich blieb keine Zeit mehr für die Dekabristy. Nach drei Kapiteln brach Tolstoi die Arbeit ab, das Buch blieb ein Fragment, noch jahrelang mühte sich Tolstoi mit seinem Werk ab.

Von 1862 bis 1868 hockte er über seinen Blättern und suchte dem Ganzen einen Sinn zu geben. Ganz so einfach war das freilich nicht. Und wenn auch ein Bogen längst schon zum Setzer abgegangen war, so musste Tolstoi dennoch die Papiere immer wieder korrigieren, über jede Seite aufs Neue nachdenken, Worte umgruppieren, Sätze neu gestalten; und selbst wenn es bis zur fünften Version dauerte, bis er endlich zufriedengestellt war – es musste halt so sein. Es gehe nicht anders, soll er gesagt haben, er müsse das hinschmieren (→ Scholl 2002, S. 212).

(Mit solchen Zitaten ist es leider immer so eine Sache. Die meisten klingen viel zu gut, um wahr zu sein. Aber manchmal stimmen sie ja doch, also gehen wir mal davon aus, dass ers tatsächlich so gesagt hat.)