David Copperfield

Die Romane von Charles Dickens sind alle lesenswert. Sein bekanntestes Buch ist eine verkappte Autobiografie: David Copperfield.


Daten zum Buch

  • Autor: Charles Dickens
  • Titel: The Personal History, Adventures, Experience and Observation of David Copperfield
  • Genre: Roman
  • Erstveröffentlichung: The Personal History, Adventures, Experience and Observation of David Copperfield, Mai 1849 bis November 1850
  • Verlagsort der ersten Buchausgabe: London
  • Verleger: Bradbury & Evans
  • Erscheinungsjahr: 1850
  • Deutsche Erstausgabe: Lebensgeschichte und Erfahrungen David Copperfield’ s des Jüngern (Leipzig: J. J. Weber 1851, Übersetzung: Julius Seybt)

Eines ist schlecht an diesem Buch: Wieso nur verliebt sich unser Held in Dora Spenlow, wieso, schlimmer noch, heiratet er diese dumme Gans gar? Wir wissen ja nicht, wie es anderen geht, aber unsereins ist jedes Mal heilfroh, wenn dieses Schoßhündchen endlich stirbt.

Aber Dora – das ist ja nur eine Episode in Davids Leben: Als er dem rohrstockverliebten Creakle die Meinung geigt – rufen wir da nicht alle lauthals Bravo? Und wie leiden wir mit, als er sich in der abartigen Schuhwichsfabrik des ebenso abartigen Murdstone abrackern muss.

(Ach, dieser Murdstone, wie lieben wir es, ihn zu hassen; und Murdstones hexenschreckliche Schwester erst: ein Besen, wie es ihn kein zweites Mal gibt auf dieser Welt – diese Frau ist zum Verlieben grässlich).

Und wie gerne lernen wir Davids Freunde kennen, wie gerne umgeben wir uns mit den Peggottys, mit den Micawbers, den Wickfields, wie gerne haben wir den kauzig-liebenswerten Mr. Dick um uns, die kleine Emily, Barkis, Dr. Strong und Traddles, nicht zu vergessen Tante Betsey, Davids Tante, die sein Elternhaus damals, als er geboren wurde, so erzürnt verlassen hat, weil er, wie furchtbar, sich erdreistet hatte, als Junge auf die Welt zu kommen; die Krönung freilich ist diese einmalig verschleimte Kreatur namens Uriah Heep – an ihm können wir uns einfach nicht satt lesen.

Ganz ehrlich: Sind sie nicht die besten Menschen, die das gute alte viktorianische England zu bieten hat? Ja, das sind sie wohl. Denn sie sind ja alles in einem: verschroben, verrückt, verschlagen, aber auch heiter, humorvoll und herzerwärmend.

David Copperfield ist ein autobiografischer Roman, denn Dickens ist es ja nicht anders ergangen als seinem Romanhelden. Der Vater kam ins Schuldgefängnis, er selbst musste ein paar Monate lang in einer Schuhwichsfabrik malochen. Natürlich können wir Fiktion und Wirklichkeit nicht eins zu eins gleichsetzen, doch ganz abwegig ist es sicher nicht, nach Vorbildern zu suchen. Vier Beispiele sollen genügen:

  1. Dickens’ Eltern sind wohl in den Micawbers zu erkennen.
  2. Die Salemschule dürfte wohl der Wellington House Academy entsprechen, wohin der Vater Dickens schickte, nachdem Ersterer aus dem Schuldgefängnis entlassen worden war.
  3. Mr. Creakle gleicht Dickens’ Lehrer William Jones.
  4. Die Bedingungen in der Firma Murdstone und Grimby entsprechen denen in der Schuhwachsfabrik.

David Copperfield kommt als Halbwaise auf die Welt, sein Vater ist vor seiner Geburt gestorben. Das ist alles recht schlimm, doch noch ärger wird es, als plötzlich ein Herr namens Murdstone auftaucht, der es auf Davids Mutter abgesehen hat und diese später tatsächlich auch noch heiratet. Dieser Gentleman erweist sich nun als wahrer Tyrann und Menschenfresser, der David quält, wo es nur geht, und ihn um ein Haar zu Tode prügelt – was damals noch vollkommen normal war.

He beat me then, as if he would have beaten me to death.

[Erstausgabe: Chapter IV, S. 43]

Zu Tode geprügelt wird David glücklicherweise nicht, dafür wird er in die Schule nach Salem geschickt, wo Mr. Creakle mittels Rohrstock regiert. Während David dort mit James Steerforth und Tommy Traddles Freundschaft schließt, durchlebt seine Mutter zu Hause ein Martyrium. Kurz nach der Geburt eines Sohnes stirbt sie folgerichtig (zu Tode gequält quasi), genauso wie das Kind.

Mit kaum 10 Jahren Vollwaise geworden, wird David zur (Sklaven-)Arbeit in Murdstones Schuhwachsfabrik geschickt, wo er einem herrlich verschrobenen Charakter, der Murdstone ebenfalls als Sklave dient: Mr. Micawber. (Im berühmten Film von 1935 grandios dargestellt vom unvergleichlichen W. C. Fields, der sonst vor allem als Kampftrinker von sich reden machte.)

Doch letztlich erweisen sich die Bedingungen in der Fabrik als so unmenschlich, dass David auf abenteuerliche Art nach Dover zu seiner Großtante flieht, die Davids Elternhaus damals, als er geboren wurde, so erzürnt verlassen hatte, weil er sich erdreistet hatte, als Junge auf die Welt zu kommen.

Aber jetzt sieht die Sache anders aus. Mit dem kauzig-liebenswerten Mr. Dick an ihrer Seite zieht Tante Betsey gegen die Murdstones in den Kampf. Es dauert eine Weile, doch am Ende hat sie die Schlacht gewonnen. Jetzt führt Davids Weg kontinuierlich nach oben. Er besucht die fortschrittliche Schule des Dr. Strong, lernt die Familie des Advokaten Wickfield kennen und entwickelt sich vom Schreibstubenlehrling eines Anwaltsbüros zum Parlamentsreporter und Schriftsteller.

Ganz reibungslos geht das freilich nicht über die Bühne. Dass sein alter Kumpel Steerforth mit Davids Jugendliebe Emily durchbrennt, bereitet ihm arge Kopfzerbrechen. Auch die verschleimte Kreatur namens Uriah Heep macht ihm schwer zu schaffen.

Doch den größten Fehler begeht er wohl selbst, indem er das einfältige Dorakindchen heiratet. Sie ist zwar sicher sehr nett, doch leider auch ein solches Dummerchen, dass er über ihren Tod sicher nicht zu trauern braucht.

Auch Steerforth, der vor Davids Augen in einem Sturm untergeht, verliert noch sein Leben. Das macht David natürlich schwer zu schaffen, die Liebe aber bringt ihn wieder auf die Beine. Nach langem Zögern erklärt er nämlich der jungen Agnes Wickfield seine Liebe und wird mit ihr glücklich.

Clasped in my embrace, I held the source of every worthy aspiration I had ever had; the centre of myself, the circle of my life, my own, my wife; my love of whom was founded on a rock!

[Erstausgabe: Chapter LXII, S. 614]

Endlich hat er also sein Glück gefunden. Ende gut, alles gut.