Anne Frank und ihre Tagebücher

Das Tagebuch der Anne Frank ist eines der bekanntesten und wichtigsten Bücher überhaupt. Je bedeutender aber ein Werk, desto häufiger ist es auch diversen Angriffen ausgesetzt. So geht es auch Anne Franks Tagebuch, das auch heute noch gerne von fragwürdigen Charakteren als Fälschung bezeichnet wird, obwohl längst wissenschaftlich erwiesen ist, dass es sich um einen authentischen Bericht handelt.


Warum gibt es auch heute noch mehr als genug Eierköpfe, die nachzuweisen versuchen, dass Anne Franks Tagebücher nicht authentisch, sondern vielmehr erst nach dem Kriege entstanden sind – zu einem Zeitpunkt also, da Anne Frank lange schon tot war?

Der erste Grund ist wohl der, dass mehrere Versionen des Tagebuchs existieren. Anne Franks Vater Otto hat in die vorliegenden Manuskripte genauso eingegriffen wie es später dann auch noch die Verlage vor der Veröffentlichung getan haben. So sind in den einzelnen Ländern ganz unterschiedliche Fassungen auf den Markt gekommen, je nachdem wie freizügig es damals in einem Lande zugegangen ist. (Anne Frank hatte nun mal so eine Art an sich, recht offenherzig über Gott und die Welt zu reden.)

Dazu kommt noch das Hindernis, dass Anne Frank selbst zwei Versionen hinterlassen hat: das Original und die von ihr später überarbeitete Fassung, die wir ruhigen Gewissens als Romanfragment bezeichnen dürfen. Nur leider ist keine dieser beiden Varianten veröffentlicht worden, sondern nur eine dritte, die nämlich, die der Vater aus den zwei vorliegenden zusammengebastelt hat.

Die Levin-Affäre
Auch die Affäre um Meyer Levin darf nicht vergessen werden. Worum geht es dabei? Nun, kurz nachdem das Tagebuch veröffentlicht worden war, erschien Levins lobende Rezension, der er noch weitere Artikel folgen ließ, in denen er empfahl, ein Theaterstück sowie einen Film daraus zu machen. Otto Frank fand die Idee sehr gut und beauftragte Levin damit, sich in den USA darum zu kümmern. Levin schrieb sodann eine Fassung für ein Bühnenstück, kam damit aber bei den Impresarios nicht so recht an.

Meyer Levin war aus dem Geschäft, dafür waren ab sofort zwei Drehbuchautoren von Metro-Goldwyn-Mayer mit der Arbeit beschäftigt. Deren Stück war so gut, dass es sogar den Pulitzerpreis gewann. Levin fühlte sich benachteiligt, klagte wegen Ideenklaus, bekam zunächst sogar Recht, verlor den Prozess dann aber vor dem Obersten Gerichtshof des Staates New York. Damit war mit den Auseinandersetzungen aber noch lange nicht Schluss. Es ging solange hin und her, bis Otto Frank und Levin sich vernünftigerweise darauf verständigten, die Gerichte außen vor zu lassen und ein Abkommen unter Ehrenmännern zu schließen.

Nielsen und Stielau
Der ganze Streit spielte (und spielt noch heute) freilich denjenigen in die Karten, denen der Erfolg der Tagebücher schon immer ein Dorn im Auge gewesen ist. Nicht Anne Frank, sagen sie, sondern Meyer Levin habe den Text verfasst. Der Erste, des es offen auszusprechen wagte, war Harald Nielsen, ein Literaturkritiker aus Dänemark. Allein schon die Namen, Anne und Peter, behauptete er, klängen nicht besonders jüdisch.

Es sollte nicht lange dauern, bis das Gerede reihum ging: in einem norwegischen Naziblatt genauso wie im Reichsruf, der Wochenzeitung für das nationale Deutschland. Trotzdem dauerte es noch eine ganze Weile, bis Otto Frank und die Verleger der Tagebücher endlich Anzeige erstatteten. Das war allerdings erst bei Lothar Stielau der Fall, einem Englischlehrer und Mitglied der Deutschen Reichspartei, der einst auch mal in der SS Dienst getan hatte.

Nun hatte Stielau offenbar nichts Besseres zu tun, als das Tagebuch in einem Artikel glattweg als Fälschung zu bezeichnen. Als der Zentralrat der Juden in Deutschland etwas später auf diesen Unsinn aufmerksam machte, kam es zu einer Strafanzeige – wegen übler Nachrede, Verleumdung, Beleidigung, Diffamierung des Andenkens einer Toten und auch wegen antisemitischer Äußerungen.

Die Ermittlungen zogen sich drei Jahre lang hin, bevor es auf einmal zu einem außergerichtlichen Vergleich kam. Die Beklagten (Stielau und Heinrich Buddeberg, der Vorsitzende der Deutschen Reichspartei) redeten sich ganz einfach heraus, indem sie behaupteten, ihre Vermutung sei unrichtig gewesen, das Tagebuch sei in der Tat echt. Sie entschuldigten sich bei Otto Frank und sagten weiter, sie hätten niemanden verletzen wollen. Das war freilich eine recht unglückliche Lösung. Zwar hatte das Gericht im Laufe der Untersuchungen festgestellt, dass die Tagebücher authentisch seien, eine Verurteilung blieb aber aus.

Der Artikel im Spiegel
So ist es kein Wunder, dass auch jetzt noch alle Nase lang irgendein Besserwisser sich bemüßigt fühlt, die Echtheit der Tagebücher anzuzweifeln. (Es geht dabei hauptsächlich auch darum, die Judenvernichtung an sich zu leugnen.) Dazu trug natürlich auch bei, dass das Bundeskriminalamt im Zuge eines weiteren Prozesses ein etwas nebulös gehaltenes Gutachten vorlegte.

Die für das Tagebuch benutzten Materialien stammten zwar alle aus den Jahren vor 1950/51, heißt es darin, auf einigen losen Blättern aber seien nachträgliche Korrekturen vorgenommen worden – und zwar mit schwarzer, grüner und blauer Kugelschreiberfarbpaste; die entsprechende Tinte sei aber erst 1951 auf den Markt gekommen.

Das ändert zwar nichts an der Echtheit der Tagebücher, doch hinderte dies den Spiegel nicht daran, in seiner Ausgabe vom 6. Oktober 1980 Auflage mit einer Geschichte (Blaue Paste, S. 119 ff.) zu machen, in der es hieß, jemand habe das Tagebuch nachträglich bearbeitet – die Zweifel an der Echtheit seien also berechtigt. (Nicht von Korrekturschriften war die Rede, wie im BKA-Bericht, sondern davon, dass unzählige Male am Text herumgepfuscht worden sei).

Die Echtheitsprüfung
Dem Niederländischen Staatlichen Institut für Kriegsdokumentation, das Anne Franks Unterlagen nach dem Tode ihres Vaters erhalten hatte, war es dann zu verdanken, dass die Zweifel an der Echtheit ein für allemal aus der Welt geschafft werden konnten. Das Papier, der Einband und die Tinte wurden von einem staatlichen forensischen Labor genauso penibel untersucht wie weitere 22 Dokumente mit Schriftproben Anne Franks (Briefe und Postkarten). Papier, Tinte sowie Leim und Fasern des Einbands sprechen eine deutliche Sprache: die Tagebücher sind von nur einer Person verfasst worden – und zwar genau in der Zeit des Weltkriegs.

Und was ist zu den mit Kugelschreibertinte beschriebenen Seiten zu sagen? Nun, es sind nur zwei solcher Papierfragmente gefunden worden, die wohl Anne Franks Manuskript mit den losen Blättern beigefügt gewesen sind. Die Handschrift weist in der Tat deutlich von derjenigen im Tagebuch ab. Und warum? Weil sie von der Mutter eines Handschriftenexperten stammt. Sie hatte die Texte mit einem Kugelschreiber geschrieben, als sie die Tagebücher zu untersuchen half.


Die beiden wichtigen Bücher zum Thema sind (1) Niederländisches Staatliches Institut für Kriegsdokumentation (Hg.): Die Tagebücher der Anne Frank (Frankfurt am Main: S. Fischer 1993) und (2) Deborah Lipstadt: Leugnen des Holocaust. Rechtsextremismus mit Methode (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1996); die Informationen zu den Eingriffen in die Tagebücher und dem BKA sind Lipstadt entnommen (S. 357 und 362); diejenigen zu Harald Nielsen und dem Kugelschreiber stammen aus NIOD (S. 99 und 195).