Ulysses

Es gibt Bücher, die man nur in kleinen Dosen genießen sollte. Dazu gehört auch einer der bekanntesten Romane des 20. Jahrhunderts: Ulysses von James Joyce.


Daten zum Buch

  • Autor: James Joyce
  • Titel: Ulysses
  • Genre: Roman
  • Verlagsort der Erstausgabe: Paris
  • Verleger: Sylvia Beach
  • Erscheinungsjahr: 1922
  • Deutsche Erstausgabe: Ulysses (Basel: Rhein-Verlag 1927, Übersetzung: Georg Goyert)

Wir schreiben den 16. Juni 1904, es ist Donnerstag, 8 Uhr morgens etwa, Ort des Geschehens ist Dublin. Stephen Dedalus beginnt seinen Tag im Martello-Turm in der Bucht von Dublin, genauso wie die Familie Bloom in der Eccles Street Nr. 7. Ahnen sie, dass noch etwa 18 Stunden vor ihnen liegen, bis der Tag für sie alle beendet sein wird?

Der junge Dedalus, gerade 22 Jahre alt, Lehrer in Dublin, ist von einer strengen jesuitischen Erziehung gezeichnet und versucht dagegen aufzubegehren. Mr. Leopold Bloom, Herr im Hause Bloom, von ungarisch-jüdischer Abstammung, ist ein kleiner Anzeigen-Akquisiteur, der sich und seine Familie mehr schlecht als recht über die Runden bringt. Blooms Ehefrau Marion, genannt Molly, hat einen leichten Hang zum Ordinären, von Beruf ist sie Konzertsängerin.

Eins sei zwischendurch noch rasch angemerkt: Wer den Roman in all seinen Facetten verstehen will, sollte sich vielleicht auch ein Buch anschaffen, das uns den Weg durch das Labyrinth erleichtert. Besonders geeignet ist dabei der von Robert Gifford zusammen mit Robert J. Seidman veröffentlichte Anmerkungsapparat Ulysses Annotated (University of California Press 1989). Das Buch erweist sich immer wieder als hilfreich in allen Lagen.

Wir entnehmen ihm auch die Titel der einzelnen Kapitel. Sie gehen auf eine 1921 von Joyce zusammengestellte Tabelle zurück, mit der er seinen Freunden die Lektüre erleichtern wollte. Wie man sieht, kann jedem Kapitel eine Episode aus Homers Odyssee zugeordnet werden:

 

  1. Telemachos: Es ist etwa 8 Uhr morgens, Stephen frühstückt gemeinsam mit seinen beiden Mitbewohnern Mulligan und Haines im Martello-Turm an der Bucht von Dublin in Sandycove, knapp sieben Meilen südöstlich vom Stadtzentrum entfernt. Nach dem Frühstück gehen sie zu dritt zum Strand, Mulligan springt ins Wasser, Haines wartet noch, Stephen macht sich lieber auf den Weg zu seiner Arbeit.
  2. Nestor: Es ist etwa 10 Uhr morgens, Ort ist eine Schule in Dalkey, knapp eine Meile südöstlich des Martello-Turms gelegen. Stephen unterrichtet dort eine Klasse von Gymnasiasten in alter Geschichte. Da wie jeden Donnerstag am Nachmittag kein Unterricht erteilt wird, ist bereits um 10 Uhr Schluss, danach wird Hockey gespielt.
  3. Proteus: Es ist 11 Uhr morgens, Stephen geht den Strand von Sandymount entlang, um die Zeit bis zu seiner Verabredung mit Buck Mulligan um 12.30 Uhr totzuschlagen.
  4. Kalypso: Es ist wieder 8 Uhr morgens, Ort ist die Wohnung der Blooms, 7 Eccles Street, im Nordwesten Dublins. Bloom beginnt den Tag erst einmal mit einem guten Frühstück, am liebsten isst er gegrillte Hammelnieren, denn nur diese vermitteln seinen Geschmacksnerven diesen herrlich leichten Geschmack schwach duftenden Urins, den er so mag. Da aber der Donnerstag kein guter Tag für eine Niere eines Hammels ist, besorgt er sich lieber eine von einem Schwein. Er geht zum Lebensmittelhändler, kauft dort die Niere, kehrt nach Hause zurück, findet dort zwei Briefe vor, von Mollys Konzertagent der eine, von Blooms Tochter Milly der andere. Molly ist inzwischen aufgestanden, sie unterhalten sich, bis Bloom schließlich durch die Hintertür auf den Abtritt in den Garten geht, wo er seine Zeitung zu lesen beginnt.
  5. Die Lotophagen: Es ist 10 Uhr am Vormittag, Bloom macht sich auf den Weg durch verschiedene Straßen südlich der Liffey, die Dublin von Westen nach Osten durchfließt.
  6. Hades: Es ist kurz nach 11 Uhr am Vormittag, Bloom ist auf dem Weg zum Prospect-Friedhof, wo ein gewisser Dignam zu Grabe getragen wird.
  7. Äolus: Es ist Mittag, in den Zeitungsbüros des Freeman’s Journal (und des Evening Telegraph), 4-8 Prince’s Street im Nordosten Dublins, ist eine Menge los, auch Bloom und Stephen halten sich dort auf, laufen aber aneinander vorbei.
  8. Die Lästrygonen: Es ist 13 Uhr, Bloom zieht durch die Straßen südlich der Nelson-Säule. Er geht zum Mittagessen, in Burtons Restaurant ist es ihm aber zu laut, sodass es ihn in den Pub von Davy Byrne in der Duke Street verschlägt. Er isst dort ein Sandwich mit Gorgonzola und trinkt dazu ein Glas Burgunder. Danach geht er zur Nationalbibliothek, um in einer alten Zeitungsausgabe eine Anzeige nachzuschlagen.
  9. Scylla und Charybdis: Es ist etwa 14 Uhr, Bloom und Stephen befinden sich in der Nationalbibliothek.
  10. Die Irrfelsen: Es ist 15 Uhr, die Wege von 50 Personen kreuzen sich an verschiedenen Orten Dublins.
  11. Die Sirenen: Es ist jetzt 16 Uhr, Ort ist das Hotel Ormond, 8 Ormond Quay. Im Salon und an der Bar treten auf: zwei Serviererinnen und ein Hausknecht, der ihnen Tee bringt; Simon Dedalus (Stephens Vater); Lenehan (ein Sportredakteur) und Boylan; Ben Dollard und Pater Cowley, die zu Simon Dedalus gehen; Mr. Lidwell und Miss Douce; Tom Kernan (ein Teehändler); zwei Biertrinker; ein blinder Klavierstimmer. Der Kellner, Richie Goulding und Bloom halten sich im Speiseraum auf.
  12. Der Zyklop: Es ist etwa 17 Uhr, ein unbekannter Ich-Erzähler berichtet vom Leben im Pub von Barney Kiernan, 8-10 Little Britain Street.
  13. Nausikaa: Es ist etwa 20 Uhr, am Strand von Sandymount begegnet Bloom drei jungen Frauen (Cissy Caffrey, Edy Boardman, Gerty MacDonald); beim Blick auf Gerty legt Bloom bei sich selbst Hand an. (Nicht aber bei Cissy und Edy? Sind das etwa hässliche Megären, bei deren Anblick einem das Blut in den Adern gefriert, oder was ist los? Wahrscheinlich sind sie halt nicht sein Typ, so was solls ja geben, auch bei den Iren.)
  14. Die Rinder des Sonnengottes Helios: Es ist etwa 22 Uhr, Ort ist die Geburtsklinik National Maternity Hospital, 29-31 Holles Street, wo Bloom eine Bekannte besuchen will, nicht zu ihr vorgelassen wird, dafür aber den sturzbesoffenen Stephen trifft.
  15. Kirke: Es ist fast Mitternacht, Bloom und Stephen leiden in einem Bordell (82 Tyrone Street) an Halluzinationen.
  16. Eumäus: Es ist etwa 1 Uhr in der Nacht, Bloom kümmert sich um Stephen und nimmt ihn mit zu sich nach Hause.
  17. Ithaka: Es ist etwa 2 Uhr in der Nacht, Bloom und Stephen trinken in Blooms Wohnung Kakao.
  18. Penelope: Es ist kurz nach 2 Uhr in der Nacht, Molly Bloom monologisiert in Blooms Schlafzimmer etwa 40.000 Wörter lang ohne Punkt und ohne Komma über Gott und die Welt.

Ein Ratschlag zum Schluss: Es ist wohl besser, zuerst einmal die Dubliners und das Porträt des Künstlers als junger Mann zu lesen, Ulysses sollte erst danach folgen. Unbedingt aber sollte man die Finger lassen von Finnegans Wake; manche mögen es genial finden, wir gehören allerdings nicht dazu – und ein Lesevergnügen ist es schon gleich gar nicht.

Und eins noch: In Maßen genossen tut Joyce durchaus wohl, im Übermaß schadet er Leib und Seele (die Menge macht eben das Gift). Langsam und mit Bedacht ist der richtige Weg, mehr als acht oder zehn Seiten auf einmal schaden der Gesundheit.