Kurt Tucholsky und seine Pseudonyme

Beim Blättern in Tucholskys Texten stellt sich natürlich immer auch die Frage nach seinen Pseudonymen. Im Grunde war er nämlich eine gespaltene Persönlichkeit. Nur selten unterschrieb er mit seinem richtigen Namen, viel lieber verwendete er ein Alias. Tatsächlich bediente er sich zahlreicher Pseudonyme, die vier bekanntesten sind Peter Panter, Ignaz Wrobel, Theobald Tiger und Kaspar Hauser.


Es gibt einen Sammelband von Kurt Tucholsky, Mit 5 PS, 1928 bei Ernst Rowohlt erschienen, dessen Titel Tucholsky mit Bedacht gewählt hat. Gemeint waren damit seine Pseudonyme, worunter er offenbar auch seinen wirklichen Namen zählte. Denn im Vorwort schreibt er von fünf Fingern an einer Hand, dem auf dem Titelblatt und den vier anderen: Ignaz Wrobel, Peter Panter, Theobald Tiger, Kaspar Hauser.

Die vielen Namen gingen auf seine Arbeit beim Wochenblatt Weltbühne zurück, deren mit Abstand produktivster Mitarbeiter er bis zu seinem Verstummen war. Sein erstes Pseudonym bestand allerdings nur aus einem Vornamen, Ignaz, mit dem er am 6. Februar 1913 seinen Beitrag ›Kino‹ in der Rubrik Kasperletheater zeichnete. Komplett war das Pseudonym erst zwei Wochen später, als er seinen Artikel ›Die Theaterkritik, wie sie sein soll‹ demgemäß unterschrieb. Auch Peter Panter und Theobald Tiger debütierten noch im selben Jahr: Panter mit drei Beiträgen am 20. März, Tiger am 18. September mit dem Gedicht ›Der lange Clown‹.

Das vierte Pseudonym erblickte erst sehr viel später das Licht der Welt. Das hatte mit Tucholskys Arbeit für das Satireblatt Ulk zu tun, dessen Chefredaktion er im Dezember 1918 übernommen hatte. Damit verbunden war die Auflage, den Namen Theobald Tigers ausschließlich für dieses als Beilage zum Berliner Tageblatt erschienene Heftchen zu verwenden. Deshalb war in der Weltbühne eine Namensänderung nötig geworden, die Tucholsky am 5. Dezember 1918 im gleichnamigen Gedicht entsprechend ankündigte:

Ich muß mir einen neuen Namen geben.
Mein Gott, wer ändert nicht in großer Zeit!
Man kann ja auch als Kaspar Hauser leben,
Wie er war ich von aller Welt so weit.

[Die Weltbühne 49/1918, S. 540]

Die Namen kamen nicht von ungefähr. Die alliterierenden Tiernamen gingen auf einen juristischen Repetitor an der Universität zurück, der die Eigenart besaß, seine Fälle mit solcherart benamsten Personen zu schmücken, von Benno Büffel über Isidor Iltis bis zu Leopold Löwe. Den Namen Ignaz Wrobel wiederum entnahm Tucholsky einer anderen Quelle:

Wrobel – so hieß unser Rechenbuch;

——— Gemeint war der Gymnasialdirektor Eduard Wrobel (1851 bis 1931), der zahlreiche Lehrbücher für die preußischen Gymnasien verfasst hat, so auch das Übungsbuch zur Arithmetik und Algebra (Rostock 1889). ———

und weil mir der Name Ignaz besonders häßlich erschien, kratzbürstig und ganz und gar abscheulich, beging ich diesen kleinen Akt der Selbstzerstörung und taufte so einen Bezirk meines Wesens.

[Tucholsky: Mit 5 PS 1928: Vorwort, S. 13]

Doch Tucholsky verwendete noch mehr Pseudonyme, diese aber nur ganz selten. So zeichnete er 1913 auch dreimal als Horatio von Massarena in der Weltbühne, zweimal als Schigolch sowie einmal als Die Claire. Später kamen noch zwei weitere Namen dazu, die er aber ebenfalls kaum benutzte: Zweimal zeichnete er als Paulus Bünzly, einmal als Theobald Körner. Manchmal wird ihm auch das Pseudonym Old Shatterhand zugeschrieben, doch kann dieser Name nicht mit Sicherheit Tucholsky zugeordnet werden.

In den Anfangsjahren war kaum jemanden bekannt, wer sich hinter all diesen Namen verbarg, weshalb, Tucholsky im Vorwort zu Mit 5 PS (S.11) behaupten konnte, dass Siegfried Jacobsohn, der Herausgeber der Weltbühne, Briefe wie den folgenden bekommen habe:

»Sehr geehrter Herr! Ich muß Ihnen mitteilen, daß ich Ihr geschätztes Blatt nur wegen der Arbeiten Ignaz Wrobels lese. Das ist ein Mann nach meinem Herzen. Dagegen haben Sie da in Ihrem Redaktionsstab einen offenbar alten Herrn, Peter Panter, der wohl das Gnadenbrot von Ihnen bekommt. Den würde ich an Ihrer Stelle …«

Natürlich stellt sich die Frage, ab wann Außenstehende ahnten, dass sich hinter all den Namen nur ein Einzelner verbarg. Das ist kaum zu beantworten, auch wenn davon auszugehen ist, dass eine aufmerksame Leserin anhand von Stilproben selbst recht frühzeitig hinter die Lösung gekommen war. Offiziell gab Tucholsky seine Tarnung aber erst am 24. August 1922 auf, als in der Weltbühne sein Artikel ›Wir alle Fünf‹ erschien.


Tucholskys Text 1:
 ›Start‹, Autorenname: Kurt Tucholsky, Mit 5 PS (Berlin: Rowohlt 1928), S. 9 bis 15; Tucholskys Text 2:
 ›Namensänderung‹, Autorenname: Theobald Tiger, Die Weltbühne 49/1918, S. 540