Dunkel wars, der Mond schien helle

Zu den schönsten deutschsprachigen Gedichten zählt ganz ohne Frage auch ›Dunkel wars, der Mond schien helle‹. Die Entstehungsgeschichte ist aber weitgehend unbekannt, über mögliche Urheber kann nur spekuliert werden.


Eins der schönsten deutschsprachigen Nonsensgedichte ist ganz ohne Zweifel der Kinderreim ›Dunkel wars, der Mond schien helle‹, das fraglos auch zu den schönsten zu zählen ist. Die Zahl der unterschiedlichen Versionen ist wohl Legion, es muss aber mindestens mehrere Dutzend geben. Die Variante, die hier nun folgt, habe ich schon vor Jahren in einem unbekannten Buch gefunden und auswendig gelernt.

Dunkel wars, der Mond schien helle,
Schneebedeckt die grüne Flur,
Als ein Wagen blitzeschnelle
Langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute,
Schweigend ins Gespräch vertieft,
Als ein totgeschossner Hase
Auf der Sandbank Schlittschuh lief.


Das Unsinnsgedicht findet sich freilich in allen möglichen Büchern, mal in dieser, mal in jener Variante. Verwiesen sei an dieser Stelle nur auf Sammlungen wie Alles Unsinn (→ Seydel 2000, S. 63), Poetische Scherzartikel (→ Köhler 1991, S. 115) und Dunkel war’s, der Mond schien helle (→ Jacoby/Berner 2001, S. 49). Doch auf welchen Urheber gehen all diese Abarten wohl zurück? Das weiß keiner, auch wenn Köhler die nordhessische Stadt Kassel als Ausgangspunkt nennt.

Wer weitere Varianten kennt, kann sie gerne in die Kommentare schreiben.

Oft wird Christian Morgenstern (1871 bis 1914) als Verfasser genannt, doch ist nicht bekannt, dass er jemals irgendwo das Gedicht Verkehrte Welt veröffentlicht hat. Wir können Morgenstern als Autor wohl auch deshalb ausschließen, weil die hier folgende Version bereits 1898 als ›volkstümlich‹ bezeichnet worden ist:

Finster war’s, der Mond schien helle
Auf die grünbeschneite Flur,
Als ein Wagen blitzesschnelle
Langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute
Schweigend ins Gespräch vertieft,
Als ein totgeschossner Hase
Auf dem Wasser Schlittschuh lief
Und ein blondgelockter Knabe
Mit kohlrabenschwarzem Haar
Auf die grüne Bank sich setzte,
Die gelb angestrichen war.

[Dähnhardt 1898, S. 58]

Der Begriff ist hier sogar besser am Platze als bei vielen sogenannten Volkslieder, da eben kein einzelner Verfasser bekannt ist. Den Hinweis auf diese Version verdanken wir Ralph Babel, der auf seiner Seite der Geschichte des Gedichts auf die Spur geht. Dort wird auch auf die älteste schriftlich überlieferte Fassung der ersten vier Zeilen verwiesen. Die stammen aus dem Jahr 1894, als Theodor von Sosnosky sie in einer Rezension benutzte, um Sinn und Unsinn des von ihm besprochenen Buches (Richard Dehmel: Aber die Liebe. Ein Ehemanns- und Menschenbuch. München: Albert & Co. 1893) besser illustrieren zu können.

Finster war’s, der Mond schien helle,
Schneebedeckt die grüne Flur,
Als der Zug mit Blitzesschnelle
Langsam durch die Eb’ne fuhr.

[Deutsche Revue3/1894, S. 372]

 

Auch Charles Lutwidge Dodgson alias Lewis Carroll (27. Januar 1832 bis 14. Januar 1898) wird immer mal wieder als Autor genannt. Grund dafür ist wohl Carrolls Gedicht Jabberwocky aus dem 1871 erschienenen Buch Through the Looking-Glass and What Alice Found There (dt: Durch den Spiegel und was Alice dort fand), der Fortsetzung zu Alice im Wunderland (Alice’s Adventures in Wonderland) aus dem Jahre 1865. Das Gedicht geht so:

’Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe:
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.

›Beware the Jabberwock, my son!
The jaws that bite, the claws that catch!
Beware the Jubjub bird, and shun
The frumious Bandersnatch!‹

He took his vorpal sword in hand:
Long time the manxome foe he sought –
So rested he by the Tumtum tree,
And stood awhile in thought.

And, as in uffish thought he stood,
The Jabberwock, with eyes of flame,
Came whiffling through the tulgey wood,
And burbled as it came!

One, two! One, two! And through and through
The vorpal blade went snicker-snack!
He left it dead, and with its head
He went galumphing back.

›And, hast thou slain the Jabberwock?
Come to my arms, my beamish boy!
O frabjous day! Callooh! Callay!‹
He chortled in his joy.

’Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe:
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.

[Ausgabe von 1902: Chapter I, S. 19 f.]

Nach Martin Gardner (→ Carroll 2002, S. 168) ist die erste Strophe schon lange vor den Alice-Büchern entstanden, im Jahre 1855 nämlich. Die erste Übersetzung stammt laut Gardner von Robert Scott, einem Griechischprofessor, und wurde im Februar 1872 im Macmillan’s Magazine abgedruckt. Gardner führt dann noch neun weitere Übersetzungen an, darunter die vielleicht bekannteste von Christian Enzensberger aus dem Jahre 1963 (Der Zipferlake). Die Frage stellt sich nun, ob in irgendeiner der deutschen Alice-Übersetzungen eventuell unser ›Dunkel wars‹ hineinmontiert worden ist.