Das schlechteste Buch

Beim Blättern in Tucholskys Texten werden wir plötzlich mit einem ungewöhnlichen Anliegen der Weltbühne konfrontiert. Denn normalerweise werden nur Bücher empfohlen, die ein Rezensent für lesenswert hält. Doch natürlich sind die schlechten Bücher in der Mehrzahl. Die Suche nach dem schlechtesten ist aber gar nicht so einfach. Die Weltbühne hat aber einmal danach gesucht, wie wir einem Text von Tucholsky entnehmen können.


Welches ist das schlechteste Buch? Gibt es so etwas überhaupt? Und wenn ja, läse es denn ein Wagemutiger, nachdem es als ein solcherart tituliertes im Regal stände? All diese Fragen schießen einem wie selbstverständlich bei der Lektüre der Weltbühne vom 29. März 1927 in die Ohren. Dort nämlich haben Ossietzky und Tucholsky nach eben jenem schlechtesten Buch gesucht, das möglichst ein deutsches Buch der letzten 100 Jahre sein sollte (wenn dies auch keine Bedingung darstellte).

Was aber gilt als schlecht? Die Geschmäcker sind nun mal unterschiedlich, was dem einen sin Ul, ist dem andern sin Nachtigall. Sicher, die Bücher von Charlotte Roche (Feuchtgebiete), Sarah Kuttner (Mängelexemplar) oder Helene Hegemann (Axolotl Roadkill) werden von vielen Leserinnen als fulminanter Schrott angesehen, doch was beweist das schon? Andere finden diese Bücher vielleicht ganz dufte. Oder etwa nicht?

Wie wäre es aber damit, ein nach der ersten gelesenen Seite in die Ecke geworfenes Buch vorzuschlagen? Finnegans Wake von James Joyce wäre ein Beispiel (genauso wie der später erschienene Versuch einer Übersetzung von Dieter H. Stündel). Aber nur weil man ein Buch nicht versteht, muss es noch lange nicht schlecht sein. Und welche Leserin kann vernünftigerweise ein Buch verteufeln, das er nicht von A bis Z gelesen hat?

Vielleicht also eines, das, schlimmer noch, einen immer weiter zur Lektüre treibt, obwohl es einen beim Lesen unendlich langweilt? Diese Definition träfe auf Stifters Nachsommer zu – ein Buch, über dem wohl jede moderne Leserin bald einschläft. Aber nur weil ein Autor sich mit allzu langatmigen Schilderungen der Natur aufhält, muss er nicht notwendigerweise ein schlechtes Buch geschrieben haben. Zumal, um Tucholsky zu paraphrasieren, Stifter seinen Roman noch in deutscher Sprache geschrieben hat, was man nicht von allen Autoren behaupten kann, deren Bücher in Deutschland erscheinen.

Welches ist also das schlechteste Buch? Wahrscheinlich eines aus den 20er- und 30er-Jahren, als die ultranational gesinnten Autoren mit ihren unsäglichen Schwarten sich in die Reihen ihrer Kameraden einzureihen begannen. Diese Produkte übelster Machart sind zwar vollkommen unlesbar, dennoch überschwemmten damals die Verlage den Markt mit diesem Schund. Es lohnt nicht, darüber zu reden.

Für die ›schlagendste Begründung‹ stellte die Weltbühne übrigens ein Abonnement über ein halbes Jahr in Aussicht, genutzt hat es freilich wenig. Die Frage konnte keiner beantworten.

Welches ist das schlechteste Buch? Wenn das einer wüsste.


Tucholskys Text:
›Das schlechteste Buch‹, Autorenname: —, Die Weltbühne, 13/1927, S. 504