Shaw und die Tänzerin

Um George Bernard Shaw ranken sich viele Anekdoten. Doch die meisten sind wohl nur erfunden.


George Bernard Shaw war zu seiner Zeit ein hochgeachteter Mann. Die ganze Welt kannte ihn, weshalb findige Journalisten ihn gerne zum Protagonisten etwelcher Geschichten machten. Das ist wohl auch der Grund, warum sich so viele Anekdoten um ihn ranken.

Eine dieser hübschen Histörchen, die wir an anderer Stelle bereits erwähnt haben, handelt von einer amerikanischen Tänzerin. Diese soll ihm die Heirat vorgeschlagen haben. Und warum? Weil das aus einer solchen Beziehung resultierende Kind ein Prachtexemplar der menschlichen Spezies abgeben würde: Was könne es sich Besseres wünschen als Shaws Geist und ihren Körper zu besitzen? Shaws Antwort darauf fiel recht simpel aus: Was aber, wenn es ihren Geist und seinen Körper erbe?

Das ist also wieder so eine Geschichte, die zu schön klingt, um wahr zu sein. Ist sie also erfunden? Offensichtlich schon. Denn wie wir der Weltbühne vom 2. November 1960 entnehmen (S. 1406 f.), hatte der Publizist Walther Victor dieses Histörchen schon in dem von ihm mitredigierten Sächsischen Volksblatt unter dem Titel „Das Kind“ veröffentlicht – ohne dass allerdings der Name Shaw darin erwähnt wurde. Ein Jahr danach habe er die Geschichte wieder gelesen, und zwar in der italienischen Zeitung Corriere della Serra – nur dass diesmal der Mann einen prominenten Namen trug: den von Shaw nämlich.

Was also war das Original, was das Plagiat? Victor wandte sich an Shaw selbst, um diese Frage ein für allemal zu klären. Der irische Dramatiker antwortete, dass ihm niemals eine amerikanische Tänzerin die Hochzeit vorgeschlagen habe. Und überhaupt: 99 Prozent aller Anekdoten um ihn seien glatte Lügen, ein halbes Prozent sei halbwahr, der Rest wahr, aber verdreht wiedergegeben.

Schön zu lesen sind die Anekdoten dennoch.

Postskriptum:
Laut Quote Investigator wird eine ähnliche Geschichte erstmals am 7. Dezember 1923 im Boston Globe erwähnt. Als Protagonisten werden dabei der französische Literaturnobelpreisträger Anatole France und die berühmte amerikanische Tänzerin Isadora Duncan genannt. In späteren Erzählungen wird France dann durch Shaw ersetzt.

QI erzählt auch unsere Version der Anekdote, nennt das Datum von Shaws Brief an das Sächsische Volksblatt (3. März 1926) und gibt eine weitere Quelle für dieses Schreiben an: Bernard Shaw Collected Letters: 1926-1950, herausgegeben von Dan H. Laurence. New York: Viking 1988, S. 16 f.

Shaw und Trebitsch

George Bernard Shaws Übersetzer Siegfried Trebitsch wurde immer wieder von Kritikern ob seiner Arbeit gescholten, das wusste auch Shaw. Trotzdem hielt er Trebitsch die Treue. Tatsächlich wollte Shaw seinem Übersetzer zu dessen 50. Geburtstag sogar eine rechte Freude machen, indem er eines von Trebitschs Theaterstücken ins Englische übertrug.

Er hatte gerade ein Drama mit Trebitschs Handschrift im Hause, sodass er sich gleich an die Arbeit machen konnte. Zwei Akte hatte Shaw schon übersetzt, als seine Frau ihn darauf aufmerksam machte, dass das Stück nichts anderes sei als eine Trebitsch-Übersetzung eines seiner eigenen Dramen. Er selbst, so Shaw, habe das gar nicht gemerkt (→ Greve 1998, S. 48).

Shaw und Mary Ann South

Die Suche nach einer Wohnung ist der Familie Shaw lange eine Qual gewesen. In der Grafschaft Herfordshire fanden sie am Ende aber das richtige Plätzchen, das ehemalige Pfarrhaus des kleinen Dorfs Ayot St. Lawrence hatte es ihnen angetan. Es machte zwar nicht viel her, aber das war ja nicht so wichtig.

Viel entscheidender war aber ein anderer Umstand: als sie nämlich auf dem Friedhof den Grabstein der Mary Ann South fanden, wussten sie sofort, dass sie hier einkehren mussten. 1825 geboren, war South erst 1895 gestorben, ihre Zeit war also, wie es auf dem Grabstein lapidar hieß, eher kurz gewesen:

Mary Ann South. Born 1825. Died 1895. Her time was short

Na, wenn hier 70 Jahre für kurz gölten, meinte Shaw, dann müsse das ja ein guter Ort sein, um alt zu werden (→ Michels-Wenz 2000, S. 40).

Shaw und Charlotte

Der irische Dramatiker George Bernard Shaw war ein ganz und gar eigenwilliger Charakter. Seine Ehefrau merkte das bereist bei der Hochzeit (→ Michels-Wenz 2000, S. 37).


George Bernard Shaws Ehefrau Charlotte Payne-Townshend hatte es nicht immer ganz leicht mit ihrem Ehegespons – so viel ist gewiss. Dabei hätte sie freilich spätestens seit ihrer Hochzeit, als sie um ein Haar den Brautführer geheiratet hätte, wissen sollen, mit wem sie sich da eingelassen hatte.

Zunächst musste sie ewig auf G. B. S. warten, der partout nicht auftauchen wollte, ganz im Gegensatz zu den beiden Trauzeigen, Henry Salt und Graham Wallas, die sich für die Zeremonie richtig herausgeputzt hatten. Vor allem der Brautführer Wallas, ein Professor für Wirtschaftspolitik, war toll anzuschauen in all seiner Pracht, stattlich und gutaussehend, mit einer Blume im Knopfloch.

Als nun den Standesbeamte gerade damit beginnen wollte, Charlotte und Wallas miteinander zu verheiraten, gab sich plötzlich auch Shaw ein Stelldichein. Sein Anblick aber muss ein Bild für die Götter gewesen sein. Er habe gedacht, so meinte der Standesbeamte später, bei dem späten Gast handele es sich um einen dahergelaufenen Bettler, der sich halt der Hochzeitsgesellschaft angeschlossen habe.

Nun ja, Shaw, der einen schlimmen Fuß hatte, an Krücken ging und sich deshalb verspätet hatte, sah auch nicht unbedingt wie ein Bräutigam aus mit seinen Gehhilfen, seiner alten verschlissenen Joppe und dem langen, roten Bart. Wie lange sich Shaw bedachte, um den Irrtum des Standesbeamten aufzuklären, ist nicht bekannt, am Ende aber stellte er die Dinge aber doch noch richtig. Jetzt musste Charlotte also doch noch den alten Shaw heiraten.

Lieblingsbücher: Shaw und Wilde

Eine immer wieder gern erzählte Geschichte handelt von einer Zeitschrift, die 1901 an George Bernard Shaw die Frage richtete, ob er wohl seine zehn Lieblingsbücher nennen könne. Er bitte darum, schrieb er zurück, noch ein wenig zu warten, noch habe er nicht so viel nicht geschrieben (→ Michels-Wenz 2000, S. 19).

Am Rande nur sei erwähnt, dass diese Anekdote auch von anderen Autoren oft erzählt wird. So soll eine französische Literaturzeitschrift einmal bei Oscar Wilde angefragt haben, ob er ihnen die zwölf besten Bücher der Welt nennen könne. Nein, soll Wilde daraufhin geantwortet haben, das könne er nicht, er habe nämlich erst sechs geschrieben (→ Greve 1998, S. 196).

Antoinette Newell zitiert Shaw

Die Amateurdarstellerin Antoinette Newell hat einmal in einem Vortragswettbewerb den ersten Platz knapp verpasst. Sie hatte aus Bernard Shaws Schaupsiel Pygmalion zu wortgetreu zitiert.


Man glaubt es kaum, doch manchmal sind ausgerechnet jene Schauspieler die Gelackmeierten, die sich zu genau an die Vorgaben eines Autors halten. So ging es auch der Amateurdarstellerin Antoinette Newell, die 1943 beim berühmten Vortragswettbewerb um den Grand National Eisteddfod im australischen Ballarat den ersten Preis nur deshalb verpasste, weil sie als Eliza Doolittle in Bernard Shaws Schauspiel Pygmalion den von ihr vorgetragenen Text aus dem dritten Akt wortgetreu zitiert hatte. Als Eliza nämlich gefragt wird, ob sie zu Fuß durch den Park gehe, verneint sie vehement und sagt, dass dies ja wohl verdammt unwahrscheinlich sei (›not bloody likely‹).

Damit stieß Newell bei Victor Trotman aber auf völliges Unverständnis. Wie die Melbourner Zeitung The Argus meldete (23. Oktober 1943, S. 3), konnte der Preisrichter, der sich in dieser Angelegenheit selbst als kleinen Puritaner bezeichnete, ihren Vortrag keineswegs gutheißen. Zwar hätte er ihr gerne den ersten Preis zuerkannt, nicht aber nach diesem Fauxpas. Darauf angesprochen hat Newell laut Argus nur gesagt, dass Preisrichter eben ihre eigenen Meinungen hätten.

Schöner klingt freilich die Version, die Vivian Elliot vorlegt (→ Elliot 1988, S. 285). Danach ist Newell gefragt worden, ob sie denn Beschwerde gegen die Wertung einlegen wolle? Worauf Newell nur drei Worte gesagt haben soll –: ›Not bloody likely.‹

Körper und Geist

Als Prominenter hat man es nicht immer ganz leicht mit seinen Fans. Manchmal treten sie nämlich mit derart skurrilen Wünschen an einen heran, dass selbst der gutmütigste Mensch verschreckt zurückzuckt. Ganz so erging es einmal auch dem irischen Dramatiker George Bernard Shaw, der als Nobelpreisträger zu seiner Zeit so etwas wie eine Institution war (→ Elliot 1988, S. 181).

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Shaw eines Tages einen Brief von einer Dame erhielt, die sich ein Kind von ihm wünschte. Er sei der Mann mit dem großartigsten Gehirn der Welt, meinte die Dame, sie die Frau mit dem tollsten Körper – warum also nicht zusammen ein Kind zeugen? Shaw bewahrte die Contenance: Was aber, so schrieb er zurück, wenn das Kind seinen Körper und ihren Geist erbe?

Shaw und Churchill

George Bernard Shaw hatte stets eine Antwort parat. Das trifft aber auch auf die Churchills zu, Jennie und Winston ( Elliot 1988, S. 234).


George Bernard Shaw war bekannt dafür, mit scharfer Zunge jedem zu antworten, der ihn in seiner Ruhe zu stören wagte. Manchmal kam aber eine mindestens ebenso scharfe Riposte zurück, so auch im Fall von Churchills Mutter Jennie.

Nachdem er ihre Einladung zu einem Mittagessen ganz entschieden abgelehnt und noch gefragt hatte, womit er eigentlich solch einen Angriff auf seine allgemein bekannten Gepflogenheiten provoziert habe (›Certainly not; what have I done to provoke such an attack on my well-known habit?‹), antwortete ihm Lady Churchill, dass sie zwar von seinen Gepflogenheiten nichts wisse, gleichwohl aber hoffe, sie seien nicht so schlimm wie seine Manieren (›Know nothing of your habits; hope they are not as bad as your manners‹).

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Shaw und Smuts

 

Um den irischen Dramatiker George Bernard Shaw ranken sich viele Legenden. So hat er einst einem General einen ganz besonderen Buchtipp gegeben (→ Elliot 1988, S. 100).


Als der irische Dramatiker George Bernard Shaw (1856 bis 1950) einmal Südafrika besuchte, konnte er nicht anders, als seinem Gesprächspartner ein ganz besonderes Buch ans Herz zu legen. Als er nämlich beim Frühstück mit dem südafrikanischen Staatsmann und General Jan Christiaan Smuts (1870 bis 1950) zusammensaß, gingen den beiden Veteranen, die nichts miteinander gemein hatten, bald die Themen aus. Doch der General war höflich und wollte von Shaw gerne wissen, ob er ihm ein gutes Buch empfehlen könne.

Shaw hatte in der Tat einen Tipp parat. Es gebe ein Buch von D. H. Lawrence, sagte Shaw, das jedes 15-jährige Schulmädchen unbedingt lesen sollte, Lady Chatterley’s Lover (1928, dt. Lady Chatterleys Liebhaber). Treu und brav ging Smuts, dem der Roman fremd war, tags darauf in eine Bibliothek, wo er erfuhr, dass besagtes Buch in jedem anständigen Land der Welt verboten sei. Eine peinliche Szene für Smuts, der darob so erbost war, dass er von Stund mit Shaw kein Wort mehr wechselte.

Der Unsichtbare

Wohl fast jeder Mensch würde gerne einmal unsichtbar sein. In einem Roman von H. G. Wells hat ein Wissenschaftler diesen Traum verwirklicht: Der Unsichtbare.


Daten zum Buch

  • Autor: H. G. Wells
  • Titel: The Invisible Man
  • Genre: Roman
  • Erstveröffentlichung: Pearson’s Weekly, 1897
  • Verlagsort der ersten Buchausgabe: London
  • Verleger: Cyril Arthur Pearson
  • Erscheinungsjahr: 1897
  • Deutsche Erstausgabe: Der Unsichtbare (Stuttgart: Julius Hoffmans 1911, Übersetzung: Alfred Winternitz)

Vielleicht ist er der genialste aller Wissenschaftler, zu den dämonischsten gehört er in jedem Fall. Wie anders ist zu erklären, dass er wie ein Berserker durch die Städte walzt und dabei eine Schneise der Verwüstung hinter sich her zieht?

Ein Normalsterblicher kann er jedenfalls nicht sein, zu absonderlich ist der Eindruck, den er auf die Wirtin des kleinen Gasthofs macht, in welchem er ein Quartier sucht.

Von Kopf bis Fuß ist er eingemummelt, die Hände stecken in Handschuhen, ein Filzhut verbirgt das dick bandagierte Gesicht, eine große, blaue Brille bedeckt die Augen, nur die leuchtende, etwas künstlich wirkende Nasenspitze ragt zwischen einem buschigen Bart hervor.

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