Kürzungen – ja oder nein?

Verleger und Lektoren machen sich einen Spaß daraus, Romane zu kürzen. Das betrifft vor allem Übersetzungen und Kinderbücher. Aber auch die Weltliteratur könnte von Kürzungen profitieren.


Wie ich zuletzt dargelegt habe, bin ich kein Freund überlanger Romane. Kurz und prägnant sollte eine Geschichte erzählt werden, alles Überflüssige gilt es wegzulassen. Der Rotstift war schon immer der beste Freund eines Autors.

Tatsächlich gibt es mehr als genug Romane, die aufgrund ihrer Länge schlechter sind als sie sein könnten. Hier ein paar Beispiele:

  1. Krieg und Frieden (Tolstoi): Ein großartiger Roman, der aber ganz erheblich darunter leidet, dass die Schilderungen der vielen Schlachten dermaßen langweilig sind, dass sie einem irgendwann zum Halse raushängen.
  2. Nachsommer (Stifter): ist in einem wunderbaren Deutsch geschrieben, aber dermaßen langatmig, dass selbst unsere Nachbarin darüber eingeschlafen ist und das Buch irgendwo bei Seite 220 zur Seite gelegt hat.
  3. Moby Dick (Melville): Die Handlung umfasst nicht allzu vielen Seiten, aufgebläht wird die Erzählung einzig durch etwelche Abhandlungen, die keine Leserin, die einfach nur unterhalten werden will, wirklich genießen kann. Wen interessiert schon das Kapitel über die Zoologie der Wale, in welchem wir des Autors Klassifizierung der Wale in den Folio-Wal, den Oktav-Wal und den Duodez-Wal kennen lernen. Auch das Kapitel, um nur ein weiteres zu nennen, über die besonderen Eigenschaften der Farbe Weiß ist nicht gerade sehr erbaulich. Kein Wunder, dass es regelmäßig in Jugendausgaben auf das Wesentliche zusammengekürzt wird. In diesem Zusammenhang sei ein Verweis auf die Stuttgarter Hausbücherei erlaubt, die sich zwecks einer möglichen Übersetzung des genannten Werks einst an Arno Schmidt gewandt hatte. Kürzungen vertrügen auch die alten Herren der Weltliteratur meistens sehr gut, hieß es in einem von Alice Schmidt in dem Buch Tagebuch aus dem Jahr 1956 (Frankfurt am Main: Suhrkamp 2011, S 133) zitierten Brief. Von Frauen ist natürlich nicht die Rede.
  4. Don Quijote (Cervantes): Hier ist deutlich zu spüren, dass Cervantes auf eine vorher bestimmte Länge festgelegt war, die er unbedingt einhalten musste. Um die entstandenen Leerstellen zu füllen, griff er also auf mehrere seiner Kurzgeschichten zurück und blähte somit den Roman unnötig auf.

Sicher, eine Leserin kann sich gerne in der Kunst des Überspringens üben, doch weiß er auch, welche Stellen er überspringen sollte? Das ginge doch nur, wenn sich ein verständiger Herausgeber seiner erbarmte und die unbedeutenden Stellen entsprechend kennzeichnete. Hat dies aber irgendein Herausgeber schon einmal gewagt? Ich glaube nicht.

Was also ist der richtige Weg? Ist es in Ordnung, dass Romane der Weltliteratur (welche Werke auch immer unter diesen Oberbegriff fallen) gekürzt werden? Ja, sage ich, nein, sagt der Herausgeber. Aber selbst wenn sie nicht erlaubt wären, geboten wären sie in vielen Fällen schon.