Tristram Shandy

Jeder Mensch hat wohl seine Lieblingsbücher. Das erste auf unserer Liste ist der schönste Roman der Welt: Tristram Shandy von Laurence Sterne.


Daten zum Buch

  • Autor: Laurence Sterne
  • Titel: The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman
  • Genre: Roman
  • Verlagsort der Erstausgabe in neun Bänden: York (Bde. 1/2), London (Bde. 3 bis 9)
  • Verleger: Ann Ward (Bde. 1/2), Dodsley (Bde. 3/4), Becket & Dehont (Bde. 5 bis 9)
  • Erscheinungsjahre: 1759 (Bde. 1/2), 1761 (Bde. 3/4), 1762 (Bde. 5/6), 1765 (Bde. 7/8), 1767 (Bd. 9)
  • Deutsche Erstausgabe: Das Leben und die Meynungen des Herrn Tristram Shandy (Berlin/Stralsund: Gottlieb August Langen 1769, Übersetzung: unbekannt)

Eins ist doch wohl klar: Wer bei der Eheschließung einen Vertrag abschließt, der sollte besser auf jede Klausel Acht geben. Denn es soll ja durchaus den einen oder anderen Herrn geben, der darauf besteht, dass seine Gemahlin in einem ganz bestimmten Falle ihres Rechtes verlustig gehe, ihr Kind in der wohligen Umgebung einer Großstadt auf die Welt bringen zu dürfen. Dann nämlich, wenn sie sich die Unverfrorenheit erlauben sollte, ihren Mann der Unbequemlichkeit und den Kosten einer solch beschwerlichen Reise auszusetzen – durch falsche Schreie zum Beispiel oder anderer Anzeichen wegen.

Leider war genau das aber der Fall im Jahre vor der Geburt unseres Helden, weshalb die gute Mrs. Elisabeth Shandy ihren Racker nun nicht in der behüteten Umgebung der Großstadt gebären darf, ihn vielmehr im ländlichen Shandy Hall entbinden muss. Welche Folgen so etwas zeitigt, ist ja klar: Unglück folgt auf Unglück. Da klemmt also der gute Dr. Slop dem Kinde bei der Geburt erst mal mit der Geburtszange die Nase ein, ehe dann auch noch das Kindermädchen Susanna von dem gewünschten Namen Trismegistus nur die erste Silbe behält, was schließlich dazu führt, das unser Held sehr zum Verdrusse aller Beteiligten als Tristram durch die Welt laufen muss.

Nicht nur über den Tag der Geburt wissen wir übrigens Bescheid, dank des unermüdlichen Forscherdrangs unseres Biografen können wir auch auf den Tag genau bestimmen, zu welchem Zeitpunkte er gezeugt ward. In der Nacht zwischen dem ersten Sonntag und dem ersten Montag des Monats März im Jahre des Herrn 1718 war es soweit. Dass er es so genau weiß, hat wiederum mit einer Uhr und einer Reise zu tun – das aber ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Das ist nun allerdings auch fast schon alles, was wir über den guten Tristram erfahren. Eins vielleicht noch: dass ihm im Alter von fünf Jahren ein Unglück widerfährt. Ein kaputtes Fenster fällt nämlich genau in dem Augenblick herunter, als der Kleine auf dem Fensterbrett herumturnt; es ist aber nicht so schlimm wie zunächst befürchtet: fast alles ist ganz geblieben, nur einen kleinen Schnitt – schnippschnapp – musste er ertragen.

Viel mehr wissen wir freilich über Tristrams Vater Walter, der als recht pedantischer Ordnungsfanatiker bekannt ist. Auch schreibt er gerne an Abhandlungen, die aber nie über das Stadium der Planung allzu weit hinausreichen. Sein Haupt- und Lebenswerk soll die Tristrapædia werden, worin er darzulegen versucht, wie und auf welche Art sein Sohnemann erzogen werden soll; allerdings kommt er auch diesmal nicht so recht voran mit seinen Betrachtungen.

Mehr noch als von Walter hören wir von dessen Bruder, Tristrams Onkel Toby, der leider, wie wir feststellen müssen, mit dem anderen Geschlecht kaum mehr als drei Worte gewechselt hat in ebenso vielen Jahren – einzige Ausnahme ist seine Schwägerin. Das aber hat seinen guten Grund: Bei der Belagerung von Namur ist er nämlich unglücklicherweise in die Leiste getroffen worden von einem Stein, der zuvor durch eine Kugel von der Mauer des Hornwerks abgeschleudert worden war.

Das mag Pech gewesen sein, andererseits aber hat es ihn zu einem Experten im Festungsbau werden lassen, da er jedem, der die Geschichte seines Unglücks hören will (und auch jedem, der sie nicht hören will), in allen Einzelheiten davon berichtet. Er entwickelt bald eine solche Vorliebe für alles Militärische, dass er seine Schlachten im Sandkasten nachzuspielen beginnt.

Der Witwe Wadman ist es schließlich vorbehalten, Onkel Toby doch noch in Wallung zu versetzen. Eine Kugel habe sie in seiner Brust zurückgelassen, erzählt er seinem Diener Trim, der ihm darauf nur entgegnet, dass sie ebenso wenig einer Belagerung widerstehen wie sie fliegen könne. Kein Wunder also, dass sich Onkel Toby bald daran macht, die Feste Wadman einzunehmen.

Alleine traut er sich aber nicht, weshalb ihm Trim dabei hilft, die gute Witwe in aller Form zu belagern; und da ja erst mal die Linien zu den Laufgräben abgesteckt werden müssen, machen sie sich sogleich auf einen langen Marsch rund ums Haus, nur der Erfolg bleibt ihm leider versagt – wie schade.

Schwer war der Kampf nicht nur für Onkel Toby, sondern auch für Laurence Sterne. Der Londoner Verleger Robert Dodsley begegnete dem Manuskript der ersten beiden Bände jedenfalls mit einer gewissen Skepsis.

Das hatte wohl damit zu tun, dass es doch recht kunterbunt zugeht im Tristram Shandy: Die Handlung beginnt im Jahre 1718, nur um im letzten Buch etwa fünf Jahre vorher zu enden. Eigentlich aber befinden wir uns in den Jahren zwischen 1759 und 1766, in der Zeit also, da das Buch gerade entsteht. Doch wir dürfen uns auch nicht wundern, wenn wir zwischendurch auch einmal ins Jahr 1699 zurückblicken, um zu sehen, was wohl Tante Dinah mit dem Kutscher angestellt hat …

Auch die Vorrede des Verfassers steht natürlich nicht am Anfang, so wie es sich von Amts wegen eigentlich gehört, sondern mitten im 3. Buch, und zwar zwischen dem 20. und dem 21. Kapitel – ein geordneter, linearer Ablauf sieht wohl anders aus. Die Länge der einzelnen Kapitel ist auch recht ungewöhnlich: Das 9. im 9. Buch umfasst im Original ganze 15 Worte, das 27. gar nur 10.

Ein anderes Kapitel wiederum, das 24. im 4. Buch, wird uns gleich von vornherein vorenthalten, da es nach Ansicht des Autors einfach zu gut ist und deshalb besser weggelassen werden muss. Und so ist es wohl auch völlig normal, dass Sterne das 18. sowie das 19. Kapitel des 9. Buches zunächst einmal hintangestellt hat, nur um sie später dann doch noch nachzureichen. Das war noch ein Schriftsteller.