Schlechte erste Sätze

Der erste Satz eines Romans ist immer eine heikle Sache. Das weiß keiner besser als Edward Bulwer-Lytton, nach dem sogar ein ganzer Wettbewerb benannt ist.

In der Tat heißt es in allen Ratgebern zur Stilkunde immer wieder, der erste Satz sei der wichtigste überhaupt. ›Bedenke wohl die erste Zeile‹, hat ja auch schon Goethe gesagt (→ Faust I. Studierzimmer).

Doch es gibt durchaus Ausnahmen. Immerhin haben auch Tolstoi (Krieg und Frieden) und Thomas Mann (Buddenbrooks) bewiesen, dass dieses Diktum nicht unbedingt stimmt. Zudem sind viele Einstiegssätze, die für gut und schön befunden werden, alles andere als gut und schön (siehe Grass, Der Butt).

Tolstoi braucht Zeit

Manchmal entwickelt sich ein Romanprojekt anders als geplant. Leo Tolstoi kann ein Lied davon singen.


Krieg und Frieden ist ein Riesenwerk. Dabei hatte alles noch ganz harmlos angefangen. Ursprünglich hatte Tolstoi nur über die Dekabristen etwas schreiben wollen, über jene adligen Offiziere, die sich anno 1825 gegen Zar Nikolaus I. verschworen hatten, dafür aber hingerichtet oder, was ja nicht ganz so unerfreulich ist, zumindest nach Sibirien verbannt worden waren. Genau dies war auch der Ausgangspunkt für Tolstois Plan: Der Held des Romans kehrt nach 30 Jahren in sibirischer Gefangenschaft nach Russland zurück.

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Literaturnobelpreis

Seit 1901 vergibt die Schwedische Akademie den Nobelpreis für Literatur. Die Wahl der Preisträger war oft umstritten, heute genauso wie in den Anfangsjahren, als einige der ganz großen Literaten übergangen wurden.


Der erste Literaturnobelpreis im Jahre 1901 ging an einen Franzosen: Sully Prudhomme. Sully – wer? Kennt den heute noch jemand? Selbst in Frankreich wohl kaum. Und wen hielt die Schwedische Akademie danach für preiswürdig? Im Jahr darauf den deutschen Historiker Theodor Mommsen – soso; dann den norwegischen Politiker Bjørnstjerne Bjørnson, der immerhin die Nationalhymne seines Landes geschrieben hat.

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Der erste Satz

Der bekannteste Anfangssatz eines Romans stammt vielleicht von Edward Bulwer-Lytton. Mit seinem Einstieg hat der englische Autor sogar einen Wettbewerb inspiriert.


Snoopy war bei den Peanuts alles: Weltkriegsflieger, Anwalt, Arzt, Golfprofi und manchmal auch Schriftsteller. Als solcher arbeitete er sein Leben lang an seinem Meisterwerk, das stets mit den immer gleichen Worten begann: ›It was a dark and stormy night.‹

Die Worte von der dunklen und stürmischen Nacht gehen freilich auf einen anderen Autor zurück. 1830 veröffentlichte der englische Romancier und Politiker Edward Bulwer-Lytton (1803 bis 1873) den Roman Paul Clifford, dessen erster Satz berühmt geworden ist. Hier ist er in seiner vollen Blüte:

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Die zweitschönste Buchbesprechung

Wer in alten Magazinen blättert, stößt häufig auf faszinierende Texte. So ist im Tage-Buch die zweitschönste Buchbesprechung zu lesen, die jemals irgendwo erschienen ist. Die Rezension ist ein wahres Kleinod.


Die zweitschönste Buchbesprechung, die ich je gelesen habe, findet sich in der 1920 vom Wiener Publizisten Stefan Großmann (1875 bis 1935) begründeten Wochenschrift Das Tage-Buch. In Heft 36 des ersten Jahrgangs (S. 1191 f.) befasst sich der namenlose Rezensent mit einer von Hanns Martin Elster verfassten Biografie über einen durchaus bekannten, nicht aber zur ersten Garde zählenden Schriftsteller: Walter von Molo und sein Schaffen (München: Albert Langen 1920).

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Die ehrenwerte Landpartie

Wieder stoßen wir beim Blättern in Tucholskys Texten auf eine Rezension, die uns neugierig auf das besprochene Buch macht. Und so können wir die Liste unserer Lieblingsbücher um einen wunderschönen Roman erweitern: Die ehrenwerte Landpartie von Thomas Raucat.


Die schönsten Bücher sind die, die uns schmunzeln lassen.

Ein Paradebeispiel dafür ist die hier vorliegende Geschichte, die Tucholsky in seiner Besprechung der französischen Ausgabe als ›Japonerie‹ bezeichnet hat. Damals gab es noch keine deutsche Übersetzung:

Die Satire ist so liebenswürdig, der Scherz so fein, daß man sich eine – stark gekürzte – deutsche Ausgabe mit bunten Bilderchen wünschen mag.

Stark kürzen? Um des lieben Gottes willen. Wie Tucholsky wohl auf so eine abstruse Idee gekommen sein mag? Schwer zu sagen. Fest steht nur, dass seiner Meinung nach die Handlung ›ein klein wenig zu schwerfällig‹ abläuft. Aber das ist ein ziemlich zweifelhaftes Urteil, das einer näheren Prüfung kaum standhält. Ganz sicher gehörte das Buch auch auf eine Liste jener Bücher, die man gerne mit auf eine einsame Insel nähme – so es einen denn je dorthin verschlagen sollte.

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Kürzungen – ja oder nein?

Verleger und Lektoren machen sich einen Spaß daraus, Romane zu kürzen. Das betrifft vor allem Übersetzungen und Kinderbücher. Aber auch die Weltliteratur könnte von Kürzungen profitieren.


Wie ich zuletzt dargelegt habe, bin ich kein Freund überlanger Romane. Kurz und prägnant sollte eine Geschichte erzählt werden, alles Überflüssige gilt es wegzulassen. Der Rotstift war schon immer der beste Freund eines Autors.

Tatsächlich gibt es mehr als genug Romane, die aufgrund ihrer Länge schlechter sind als sie sein könnten. Hier ein paar Beispiele:

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Jahrgang 1902

Wenn man in alten Magazinen blättert, stößt man häufig auf Rezensionen, die einen neugierig auf das besprochene Buch machen. So führt ein Text von Carl von Ossietzky dazu, dass jetzt auch ein Buch über den Ersten Weltkrieg auf unserem Nachttisch liegt: Jahrgang 1902 von Ernst Gläser.


Daten zum Buch

  • Autor: Ernst Glaeser
  • Titel: Jahrgang 1902
  • Genre: Roman
  • Verlagsort der Erstausgabe: Potsdam
  • Verleger: Gustav Kiepenheuer Verlag
  • Erscheinungsjahr: 1928

1902 – das war das Jahr, als der Burenkrieg in Südafrika zu Ende ging, Kuba seine Unabhängigkeit von den USA erhielt, der Altertumswissenschaftler Theodor Mommsen den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam, der Ausbruch des Mont Pelé auf der Antilleninsel Martinique etwa 30.000 Todesopfer forderte, die ersten Mitglieder den Madrid Foot Ball Club (vulgo Real Madrid) amtlich als Verein registrieren ließen, der deutsche Arzt Rudolf Virchow, der deutsch-amerikanische Unternehmer Levi Strauss sowie der französische Schriftsteller Émile Zola starben.

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Krieg und Frieden

Russland hat viele große Autoren hervorgebracht. Zu ihnen zählt auch Leo Tolstoi, der den wohl größten Roman der Weltliteratur geschrieben hat: Krieg und Frieden.


Daten zum Buch

  • Autor: Leo Tolstoi
  • Titel: Война и мир (Woina i mir)
  • Genre: Roman
  • Erstveröffentlichung: Русскій Вѣстникъ (Russkiy Vestnik)
  • Verlagsort: Moskau
  • Verlagsort der ersten Buchausgabe: St. Petersburg
  • Erscheinungsjahr: 1868
  • Deutsche Erstausgabe: Krieg und Frieden (Berlin: Verlag von A. Daubner 1885, Übersetzung: Ernst Strenge)

Der erste Satz ist furchtbar. Hätte sich Tolstoi damit nicht etwas mehr Mühe geben sollen? Der erste Satz, heißt es immer wieder, sei besonders wichtig, ohne einen gelungenen Einstieg sei kein Buch etwas wert.

Nicht so bei Tolstoi freilich, der recht langatmig vor sich hin schwafelt – und das im Original in einer Sprache, Französisch, die heute im Gegensatz zu früher kaum noch einer versteht. Und das soll uns dazu animieren, die ganzen 1600 Seiten durchzulesen? Wohl kaum. Ein mitreißender Anfang sieht in der Tat anders aus.

Wahrscheinlich liest den Wälzer heute eh kein Mensch mehr. Früher war das noch anders, da galt der Schinken als Pflichtlektüre, und das vielleicht sogar zu Recht. Auf dem Lehrplan stand es übrigens auch für die Peanuts, die es, obwohl alle noch im Grundschulalter, immer wieder lesen mussten, in den Ferien vor allem – ein schreckliches Los.

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Nachttischlektüre

Welche Bücher sollte man gelesen haben? Auf diesen Seiten werden die unterschiedlichsten Romane und Erzählungen vorgestellt, einen Kanon soll dies aber nicht darstellen.


Ein Kanon ist nichts für mich. Die zehn besten Platten der Welt (Musikalben, keine Gehsteigplatten), die zehn größten Filme, die zehn lesenswertesten Bücher — das ist doch Kokolores. Alles eine Frage des Geschmacks, was dem einen sin Ul, ist dem andern sin Nachtigall, wie der Niederdeutsche zu sagen pflegt.

Klar, Goethe, Schiller & Co. (Kleist vor allem) sind nicht zu verachten, aber darf es nicht auch mal etwas anderes sein? Unterhalten werden wollen wir doch alle, und das gelingt einem Jules Verne mit vielen seiner Bücher doch wohl besser als Goethe mit seinen Wahlverwandtschaften, oder etwa nicht?

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