Gargantua und Pantagruel

François Rabelais hat schon im 16. Jahrhundert einen Klassiker geschaffen, der noch heute überaus lesenswert ist: Gargantua und Pantagruel.


Daten zum Buch

  • Autor: François Rabelais
  • Titel: La vie de Gargantua et de Pantagruel
  • Genre: Roman
  • Verlagsort der Erstausgabe in fünf Bänden: Lyon
  • Verleger: François Juste
  • Erscheinungsjahre: 1532 (Bd. 1), 1534 (Bd. 2), 1546 (Bd. 3), 1552 (Bd. 4), 1564 (Bd. 5)
  • Deutsche Erstausgabe: Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung (Straßburg: B. Jobin 1575, Übersetzung: Johann Fischart)

Das ist ja mal ein kapitaler Fresssack. Dauernd schiebt er die Ochsen in sich rein, zwischendurch auch mal ein paar Hirsche oder was sonst noch so alles vor seine große Schnauze läuft. So einer muss natürlich auch saufen wie ein Loch, ganze Gallonen an Wein und Bier schüttet er in sich rein, irgendwie muss das Fressen ja runtergespült werden.

Was aber, wenn so einer plötzlich seinen Hosenlatz öffnet, seinen Spritzeschlauch hervorzieht und draufloszustrullern beginnt? (So wie es später auch der Gulliver getan, der auf Liliput die in Brand geratenen Gemächer der Kaiserin rettet, indem er ein wenig Wasser lässt.)

Na, dann müssen leider 260.000 ersaufen (und 418 noch dazu), Weiber und Kinder allerdings nicht mitgerechnet:

Lors, en soubriant, destacha sa belle braguette, & tirant sa mentule en l’air, les compissa si aigrement, qu’il en noya deux cens soixante mille quatre cens dix & huyt. Sans les femmes & petiz enfans.

[Ausgabe von 1868: Chapitre XVII, S. 651]

Ja, es geht schon recht merkwürdig zu bei jenen, so aus dem Geschlecht der Riesen stammen. Obgenannter Gargantua hatte immerhin ganze elf Monate im Mutterleib verbracht, ehe er schließlich auf eine etwas seltsame Art und Weise auf die Welt gekommen war, als die Kotyledonen der Gebärmutter sich nach oben geöffnet hatten, das Kind kopfüber hindurchgeschlüpft, erst in die Hohlader und dann direkt durch das Zwerchfell bis zu den Achseln gelangt war (wo die Ader sich teilt), sich nach links gewendet hatte und endlich zum linken Ohr herausgetreten war:

Par cest inconvenient feurent au dessus relaschez les cotyledons de la matrice, par lesquelz sursaulta l’enfant, & entra en la vene creuse, & gravant par le diaphragme jusques au dessus des espaules (où ladicte vene se part en deux), print son chemin à gauche, & sortit par l’aureille senestre.

[Ausgabe von 1868: Chapitre VI, S. 26 f.]

Das waren noch Kerle, was? Wer die Figur des Gargantua erfunden hat, ist leider nicht bekannt. Erstmals erwähnt wird der Riese in einem französischen Volksbuch aus dem Jahre 1532. Diese Chronik war so erfolgreich, dass allein in Lyon innerhalb von nur zwei Monaten sehr viel mehr Bände verkauft worden sein sollen als Bibeln im gleichen Zeitraum – was ja wirklich ganz und gar unerhört ist.

(Was können das nur für Menschen gewesen sein, die mehr interessiert waren an den fantastischen Geschichten eines Riesen als an den nicht minder fantastischen Geschichten der Bibel? Wir wissen es nicht.)

Wenn aber ein Buch so viel Erfolg hat, muss es natürlich unter allen Umständen fortgesetzt werden – dachte sich zumindest der ehemalige Benediktinermönch und Art François Rabelais, der im Titel wörtlich an die Chronik anknüpfte, indem er darauf hinwies, dass Pantagruel der Sohn des hochberühmten Gargantua sei. Tatsächlich handelte Rabelais’ Buch nicht von Gargantua, sondern von dessen Sohn Pantagruel, dessen schröckliche Heldentaten er so hingebungsvoll beschrieb.

Da Rabelais aber die katholische Inquisition fürchtete, wollte er seinen richtigen Namen nicht preisgeben und nannte sich Alcofrybas Nasier. Wer genau Acht gibt, wird schnell dahinterkommen, dass Rabelais sich damit ein kleines Wortspiel erlaubt hat.

Erst zwei Jahre später, durch den Erfolg seines Pantagruels ermutigt, legte Rabelais dann seine eigene Geschichte von Pantagruels Vater Gargantua vor; inzwischen ist dieser ursprünglich zweite Band zum ersten Buch der Pentalogie geworden. 1546 kam der dritte Band heraus, 1552 der vierte; der fünfte Band lag erst vor, als Rabelais schon mehr als zehn Jahre tot war. Möglicherweise wurde der Band von einem hugenottischen Pamphletisten redigiert und vervollständigt, die Urheberschaft ist aber nicht geklärt.

Natürlich ist auch Gargantuas Sohn Pantagruel ein toller Typ. Eines Tages nämlich, als er an einer seiner Kühe saugen soll (andere Ammen hat er ja wohl nie gehabt), macht er einen seiner festgebundenen Arme los, packt die Kuh unterm Knie und frisst ihr beide Euter ab, den halben Bauch dazu, und auch die Leber und die Nieren noch; hätte die Kuh nicht gar so schrecklich geschrieen, hätte er sie wohl ganz und gar aufgefressen:

Certain jours vers le matin que on le vouloit faire tetter une de ses vaches (car de nourrisses il n’en eut jamais aultrement, comme dict l’hystoire) il se deffit des liens qui le tenoyent au berceau un des bras, & vous prent ladicte vache par dessoubz le jarret, & luy mangea les deux tetins & la moytié du ventre, avecques le foye & les roignons, & l’eust toute devoree, n’eust esté qu’elle cryoit horriblement comme si les loups la tenoient aux jambes, auquel cry le monde arriva, & osterent ladicte vache à Pantagruel

[Ausgabe von 1868; Chapitre IV, S. 234]

Im dritten Buch sucht Pantagruels bester Freund Panurg Rat in der Frage, ob er sich verheiraten solle. Und er sucht und sucht und sucht: Ob Pantagruel, die Sibylle von Panzoult, Zickenäs, Schnurrkater, Herr Trippa, Hans Hackepeter, der Theolog Hippothadäus, der Arzt Rondibilis, der Philosoph Kreiselfritz, der Narr Triboulet – sie alle können Panurg bei seinem Problem nicht helfen.

So machen sie sich im vierten Buch auf, um das Orakel der Göttin Bakbuk zu befragen (was ja auf der Hand liegt). Sie begeben sich auf die Reise, landen auf der Insel Cheli, passieren die Inseln Tohu und Bohu, gehen auf der Insel Grimmingen an Land und besuchen die Insel Heuchelingen.

Auch im fünften Buch zieht es Pantagruels Mannschaft auf verschiedene Inseln: Sie besuchen die Bimmelinsel, die Eisenzeuginsel, die Würfelinsel; und endlich erblicken sie das Laternenland, kommen zum Orakel der Flasche, befragen die Göttliche Flasche, bekommen aber keine vernünftige Antwort und nehmen also Abschied von Bakbuk.

Gargantua und Pantagruel ist ein ganz und gar außergewöhnliches Buch, das wirklich jeder gelesen haben sollte.