Die ehrenwerte Landpartie

Wieder stoßen wir beim Blättern in Tucholskys Texten auf eine Rezension, die uns neugierig auf das besprochene Buch macht. Und so können wir die Liste unserer Lieblingsbücher um einen wunderschönen Roman erweitern: Die ehrenwerte Landpartie von Thomas Raucat.


Die schönsten Bücher sind die, die uns schmunzeln lassen.

Ein Paradebeispiel dafür ist die hier vorliegende Geschichte, die Tucholsky in seiner Besprechung der französischen Ausgabe als ›Japonerie‹ bezeichnet hat. Damals gab es noch keine deutsche Übersetzung:

Die Satire ist so liebenswürdig, der Scherz so fein, daß man sich eine – stark gekürzte – deutsche Ausgabe mit bunten Bilderchen wünschen mag.

Stark kürzen? Um des lieben Gottes willen. Wie Tucholsky wohl auf so eine abstruse Idee gekommen sein mag? Schwer zu sagen. Fest steht nur, dass seiner Meinung nach die Handlung ›ein klein wenig zu schwerfällig‹ abläuft. Aber das ist ein ziemlich zweifelhaftes Urteil, das einer näheren Prüfung kaum standhält. Ganz sicher gehörte das Buch auch auf eine Liste jener Bücher, die man gerne mit auf eine einsame Insel nähme – so es einen denn je dorthin verschlagen sollte.

Daten zum Buch

  • Autor: Thomas Raucat
  • Titel: L’Honorable Partie de campagne
  • Genre: Roman
  • Verlagsort der Erstausgabe: Paris
  • Verleger: Gallimard
  • Erscheinungsjahr: 1924
  • Deutsche ErstausgabeDie ehrenwerte Landpartie (Berlin: Oesterheld und Co. Verlag 1927, Übersetzung: Gert Frank)

Umso unverständlicher, dass Die ehrenwerte Landpartie im regulären Buchhandel derzeit nicht erhältlich ist. Wer das Buch lesen will, muss es sich über ein Antiquariat besorgen. Eine Schande. Wann wohl die letzte deutschsprachige Ausgabe erschienen ist? Vor mehr als 40 Jahren: 1972 im Manesse Verlag. Warum gibt es keine Neuauflage?

Die Geschichte spielt also in Japan (›Japonerie‹). Ein Schweizer reist im Auftrag des Völkerbundes dorthin, wo er sich neben der Arbeit auch noch ein wenig dem Vergnügen hingeben will. Das ist ja nur allzu verständlich. Er lässt die Chance nicht ungenutzt und lädt auf der Weltausstellung 1922 in Tokio eine junge Japanerin zu einer kleinen Landpartie ein.

Das könnte ganz schön werden, wenn da nicht jener japanische Kaufmann wäre, der den Europäer quasi gleichzeitig selbst zu einem Ausflug einlädt. Zwei Spritztouren aber an einem Tage – na, das könnte ein bisschen schwierig werden, zumal ja jede Handlung auch den berühmten japanischen Vorstellungen von Höflichkeit und Moral unterworfen ist.

Die Erlebnisse der beiden Reisegesellschaften sind nun aber in einem Tonfall geschildert, der wohl seinesgleichen sucht in der schönen Literatur: sehr heiter und vergnüglich, aber auch empfindsam und rührend. Er steht in der Tat geradezu einzigartig da, wohl auch deshalb, weil gleich acht verschiedene Erzähler über das Geschehen berichten, in jedem Kapitel ein anderer.

Den Anfang macht die junge Japanerin, danach folgt der japanische Kaufmann, dann der Schweizer, bis zum Schluss ein Student aus Tokio das Wort erhält (und dabei mit einem Male eine etwas irritierende Wendung vor uns ausbreitet).

Wilkie Collins hatte die Technik der wechselnden Erzähler zuvor schon in seinen Kriminalromanen (siehe Die Frau in Weiß) angewandt, hier aber wird sie vom Autor auf eine besonders einprägsame Art umgesetzt. Mir jedenfalls ist außerhalb des Krimigenres kein Buch bekannt, in dem diese Technik so gut funktioniert wie in diesem Fall.

Als Autor zeichnete der französische Bankier Roger Poidatz (1894 bis 1976), der als Pseudonym den Namen Thomas Raucat wählte. Dies nicht aus Zufall, sondern aus einem guten Grund: Der Name ist der japanischen Frage (Tomaro-ka) nachgebildet, ob man nicht (über Nacht) bleiben dürfe?

In Frankreich und Japan erlebt sein Buch auch heute noch ständig neue Auflagen. Und das mit gutem Recht. Fragt sich nur, ob sich auch hierzulande noch mal ein Verleger finden wird. Nun, was ist?


Tucholskys Text: ›Fremde Völker in Frankreich‹, Autorenname: Peter Panter, Vossische Zeitung, 20. September 1925, S. 7