Friederike Kempner. Leben und Werk

Viele Autoren versuchen bewusst, humorvoll zu schreiben. Die meisten scheitern aber dabei. Andere wiederum  schreiben humorvoll, obwohl sie es gar nicht bewusst versuchen. Eine Meisterin der unfreiwilligen Komik war Friederike Kempner.


Sie ist eine große Dichterin, eine der größten, die die deutschsprachige Welt je gesehen hat. Jeder kennt sie, jeder mag sie, jeder verehrt sie, jeder liebt sie – auch heute noch, mehr als 100 Jahre nach ihrem Tod. Ja, wer nach der Königin unter den deutschen Verseschmieden fragt, der bekommt unter Garantie nur eine Antwort zu hören: Friederike Kempner.

Doch hat sie diesen Ruf auch wirklich verdient? Sucht ihre Dichtkunst hierzulande tatsächlich noch immer ihresgleichen? Um dies nachzuprüfen, müssen wir wohl einen kurzen Blick auf ihr Werk werfen. Ein kleines Beispiel soll an dieser Stelle fürs Erste genügen:

Poesie ist Leben,
Prosa ist der Tod,
Engelein umschweben
Unser täglich Brot.

[Gedichte, Ausgabe von 1895, S. 87]

Geboren wurde sie am 25. Juni 1828 in Opatow, in der preußischen Provinz Posen. Ihre Eltern waren das Gutsverwalterpaar Joachim und Marie Kempner (geb. Aschkenasy). Das häufig anzutreffende Geburtsjahr 1836 geht auf die Autobiographie der Kempner zurück, die sich dort um acht Jahre jünger machte, als sie tatsächlich war. Marie Kempner kümmerte sich um die Erziehung ihrer fünf Kinder und unterrichtete sie in Französisch, Geschichte, Religion und Literatur.

Im Jahre 1844 zog die Familie nach Droschkau in der Provinz Schlesien, wo der Vater ein Rittergut erworben hatte. Später bezog Friederike Kempner das zu Droschkau gehörige Gut Friederikenhof. 1868 schlug das Schicksal zu: Nach dem Tod des Vaters musste die Familie zunächst das Gut verlassen, ehe auch die gesundheitlich angeschlagene Mutter am 9. Juli ihrem Leiden erlag.

Doch Friederike Kempner war nicht nur eine Dichterin. Mit Fug und Recht dürfen wir sie als Humanistin bezeichnen, die sich, geprägt durch ihre Jugendjahre als Krankenpflegerin und Sterbebegleiterin, mit Fragen beschäftigte, an denen damals manch ein Philosoph schier verzweifelte.

Die Angst vor dem Scheintod und dem lebendig Begrabenwerden war in jenen Zeiten immerhin so ausgeprägt, dass man sich aller möglichen Vorsichtsmaßnahmen bediente, um das Schlimmste zu verhüten, so beispielsweise mit Schaufenstern ausgestatteten Särgen oder kleinen, außerhalb des Grabes angebrachten Glocken, deren Verbindungsschnüre direkt in den Sarg führten.

Erinnert sei an dieser Stelle auch an Edgar Allan Poes Gruselgeschichten wie Berenice (1835), Morella (1835) und Ligeia (1838) oder seine Erzählung The Premature Burial (1844, von Hans Wollschläger unter dem Titel Das vorzeitige Begräbnis übersetzt). Kempner wusste um dieses Problem nur zu gut Bescheid:

Und er schlief und schlief so lange,
Daß ihn keine Macht mehr weckte –
Unsichtbar bei Grabgesange
Sich der Totgeglaubte streckte.

[Der Scheintote, S. 136]

Schon im Alter von 22 Jahren schrieb sie ein bemerkenswertes Buch, das in insgesamt sechs Auflagen erschienen sollte. In ihrer Denkschrift über die Nothwendigkeit einer gesetzlichen Einführung von Leichenhäusern machte sie auf das Problem der vorschnellen Beisetzung scheintoter Menschen aufmerksam. Wenn wir nun einen Blick auf ihre weiteren Schriften werfen, die sie im Laufe ihres Lebens veröffentlichte, wird deutlich, welch breites Spektrum gesellschaftlicher Themen sie behandelte:

  • Gegen die Einzelhaft (1869)
  • Hermann Wilhelm Boedeker (1870)
  • Das Recht auf Leben (1884)
  • Das Büchlein von der Menschheit (1885)
  • Ein Wort in harter Zeit (1903)

Nicht zu vergessen ihre Novellen und Theaterstücke, die ihr regelmäßig aus der Feder flossen. Wir wollen sie hier kurz anführen:

Novellen

  • Roger Bacon (1861)
  • Eine Frage Friedrichs des Großen (1861)
  • Nettelbeck (1868)
  • Miss Maria Brown (1893)
  • In der goldenen Gans (1898)

Theaterstücke

  • Berenize (1860)
  • Rudolf II. (1867)
  • Antigonos (1880)
  • Jahel (1886)
  • Der faule Fleck im Staate Dänemark (1888)

Doch was ist das alles gegen ihre Gedichte, die sie der Nachwelt dankenswerterweise hinterlassen hat? Schon die Namen, die sie ihren Werken gegeben hat, erfüllen uns noch heute mit Freude:

  • Als Jemand beim Anblick einer armen Frau den Kopf wegwendete
  • An diejenige, welche immer das Böse von mir abwendete
  • An meinen … dahingegangenen Papagei
  • Beim Anblick eines prachtvoll gewesenen Buketts
  • Frühlingslüfte wehen leise
  • Gegen den Selbstmord
  • Gegen die Vivisektion der Hunde
  • Hundegebell im Fleischerladen
  • Kennt ihr sie nicht die böse bunte Schlange
  • Prall nicht an, prall nicht an

Während Friederike Kempner in Schlesien aufgrund ihres humanitären Engagements schon länger einen Namen hatte, kannte sie außerhalb der Grenzen Schlesien kaum ein Mensch. Das änderte sich auch mit der Veröffentlichung ihres Gedichtbands im Jahre 1873 zunächst einmal noch nicht.

Erst als sieben Jahre später in der Zeitschrift Die Gegenwart eine staunenswerte Rezension des Literaten Paul Lindau erschienen war, wurde Kempner zur gefeierten Künstlerin. Bis 1903 kamen ihre Gedichte in acht Auflagen auf den Markt. Friederike Kempner starb am 23. Februar 1904, am 2. März wurde sie eingeäschert.


Die biografischen Angaben sind dem Ausstellungskatalog über Kempners Leben, Werk und Wirkung entnommen (→ Herbstritt/Meincke 1994); über die Vorsichtsmaßnahmen bei Begräbnissen informiert das Lexikon Literatur und Medizin (→ Jagow/Steger, S. 680).