Schreibweisen

Beim Blättern in Tucholskys Texten stoßen wir auf einen Artikel, dessen Titel ungewöhnlich geschrieben ist. Doch das hat seinen guten Grund. Die amtliche Rechtschreibung ist prinzipiell zwar eine gute Sache, doch letztlich ist niemand gezwungen, sich daran zu halten. Bei Publikationen sind ohnehin Hausschreibungen üblich. So auch bei der Bücherkiste.


Oft sind es die eigentlich eher humorvoll angelegten Texte, die für die größte Aufregung sorgen. Welche Arbeit beispielsweise brachte Kurt Tucholsky die schärfsten Kritiken ein? Eine Satire. Die nämlich forderte fast so viel Widerspruch heraus wie alle seine großen politischen Artikel zusammengenommen. Und warum? Weil er der Deutschen liebstes Kind anzugreifen gewagt hatte – den Hund.

Na, Tucholsky zog aber auch so richtig schön vom Leder. Tier und Tierhalter bekamen gleichermaßen ihr Fett weg, alle Hunde waren ihm ein Graus, alle Hundebesitzer nicht minder. Nein, aus seinem Herzen machte er in der Tat keine Mördergrube. Eins steht jedenfalls fest: Wenn einer mal so richtig Tacheles geredet hat, dann Tucholsky in seinem ›Traktat über den Hund‹ (der am 2. August 1927 zunächst in der Weltbühne erschien, ehe er am 13. August 1927 im Prager Tagblatt nachgedruckt wurde, S. 3).

Die Reaktionen waren entsprechend. Täglich erreichten ihn neue Schimpfbriefe, der Völkische Beobachter nahm sich des Themas an, und manch eine wütende Leserin drohte offenbar sogar damit, sein Abonnement zu kündigen – es war ganz großartig. Tucholsky fand die Zuschriften anscheinend so anregend, dass er knapp zwei Monate später noch einen zweiten Artikel folgen ließ, der am 4. Oktober 1927 in der Weltbühne erschien. Das war der ›Traktat über Lerm und Geräusch‹.

Hm, Lerm also? Warum eigentlich benutzte Tucholsky ein ›e‹ statt des damals längst schon üblichen ›ä‹? Wie er selbst sogleich kundtat, orientierte er sich dabei an Arthur Schopenhauer, der einst im zweiten Band der Parerga und Paralipomena einen Aufsatz zum selben Thema veröffentlicht hatte. Auch Schopenhauer hatte über ›Lerm und Geräusch‹ philosophiert.

Ohnehin waren in der Weltbühne solche und ähnliche Schreibweisen, die den geltenden Regeln widersprachen, durchaus gebräuchlich. So verzichtete die Weltbühne auch auf das allgemein übliche Apostroph bei einem ausgefallenen Buchstaben, so wies auch auf den Seiten der Bücherkiste gehandhabt wird.

Eine weitere Eigenart bestand darin, bestimmte Fürwörter großzuschreiben. Tucholskys Lehrmeister Siegfried Jacobsohn erklärte seine Vorliebe für die ungewöhnliche Schreibweise einmal wie folgt:

Das ist eine Privatliebhaberei, und nicht die einzige, de [sic] ich mir zur Entschädigung für die vielen Mühsale einer lebenslänglichen Redaktionsführung gönne. ›Gründe‹? Ich betrachte die Substantivierungen Andre, Alle, Jeder, Niemand als Substantiva und finde, daß man einen Satz optisch richtiger aufnimmt, wenn diese Wörter mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben sind.

[Die Weltbühne, 29. September 1925, S. 511]

Unser Lieblingsspruch lässt sich damit auf zwei Weisen schreiben:

Was dem einen sin Ul, ist dem andern sin Nachtigall.

oder

Was dem Einen sin Ul, ist dem Andern sin Nachtigall.

Welche Schreibweise ist hier nun vorzuziehen? Das sollte wohl Jeder nach eigenem Gutdünken entscheiden.

Anders ist bei uns auch die Schreibung von Zahlen. Die alte Buchdruckerregel, wonach Zahlen erst von der 13 an in Ziffern dargestellt werden, ist längst veraltet. Ohnehin ist es wohl unsinnig, zwei unterschiedliche große Zahlen mal in Buchstaben, mal in Ziffern zu schreiben (›zwölf von 20 Menschen‹). Wir geben hier deshalb zumeist der Ziffer den Vorzug.

Abschließend sei noch auf ein Wörtchen verwiesen, das Herr Duden gerne getrennt haben wollte. Das ist aber garnicht nett. Tucholskys Zeitgenosse Hans Reimann weigerte sich zeitlebens, das Wort zu trennen (→ Reimann 1964, S. 197).

Noch am 11. August 1949 hat es sich übrigens im Spiegel auf Seite 25 in eine Bildunterschrift geschlichen, heute ist es dagegen so gut wie ausgestorben.

Oder erlebt es gerade wieder eine Renaissance?


Tucholskys Text 1:
 ›Traktat über den Hund‹, Autorenname: Peter Panter, Die Weltbühne31/1927, S. 181 bis 184; Tucholskys Text 2:
 ›Traktat über Lerm und Geräusch‹, Autorenname: Peter Panter, Die Weltbühne 40/1927, S. 522 bis 524