Alles nur Deppen? Ein Wort über den Genitiv-Apostroph

Der Apostroph ist ein Schriftzeichen, das den Ausfall eines Lautes oder einer Silbe kennzeichnet. Gerne wird es auch vor dem Genitiv-s gesetzt. Das wird heutzutage als falsch gebrandmarkt, war früher aber die Norm.


Die Jagd ist lange schon im Gange. Jäger sind ein paar selbsternannte Sprachhüter, die mit Kanonen auf jene schießen, die den Apostroph nicht immer den amtlichen Rechtschreibregeln gemäß einsetzen. Regen sich die Eiferer aber zu Recht auf? Manchmal wohl schon, doch ist jeder, der einmal einen (angeblich) falschen Apostroph setzt, gleich eine hirnlose Schafherde?

Wozu benötigen wir den Apostroph denn nun eigentlich? Zuerst einmal verwenden wir ihn, wenn wir einen oder mehrere Buchstaben weglassen wollen. Drei Beispiele:

  • ’s ist traurig (statt: Es ist traurig)
  • So ’n Unsinn (statt: So ein Unsinn)
  • Ku’damm (statt: Kurfürstendamm)

Allerdings ist das nicht immer der Fall: So verzichten wir bei Kürzungen wie rauf (herauf), runter (herunter), mal (einmal) oder was (etwas) genauso auf den Apostroph wie bei Verbindungen aus Präposition und Artikel (aufs, durchs, im, überm, untern, vorn); auch wenn im Wortinnern ein unbetontes ›e‹ wegfällt, setzen wir kein Apostroph (andre, edle, sehn, stehn).

Wie steht es nun mit dem Apostroph, wenn wir den Genitiv bilden? Ist es wirklich eine Katastrophe, vor dem Genitiv-s ein Apostroph zu setzen? Wohl eher nicht. Da aber der kollektive Unfug als so eine Art Kotau vor dem Englischen gilt, muss er natürlich aufs Schärfste bekämpft werden. Früher war das anders. Wenden wir zuerst dem Bibliothekar Johann Christoph Adelung (1732 bis 1806) zu, der den Genitiv-Apostroph in seinem Lehrgebäude der deutschen Sprache (Leipzig: Breitkopf 1782) durchaus tolerierte:

Ich habe in der Lehre von der Declination der eigenen Nahmen noch einen anderen Gebrauch des Apostrophes vorgeschlagen, welchen schon die Engländer haben, nähmlich den eigenen Nahmen, das s des Genitives und n des Datives durch einen Apostroph von dem Worte selbst zu trennen, und zwar in der Absicht, um den Ton zu sichern. Catos, Ciceros, Bendan, könnten leicht Catós, Cicerós, Bendán gelesen werden; zu geschweigen, daß durch die deutschen Declinations-Sylben der eigene Nahme unkenntlich wird. Beydes wird vermieden, wenn man Cato’s, Cicero’s, Benda’n schreibet.

[Zweyter Band, zweyter Theil: fünftes Kapitel, § 84, S. 798]

Nicht anders sah es der Grammatiker Johann Christian August Heyse (1764 bis 1829) in seiner Theoretisch-praktischen deutschen Grammatik (Hannover: Hahn 1827):

Nöthig ist der Apostroph […] bei Eigennamen im Genitiv, und in den von Eigennamen hergeleiteten Adjectiven, um den wahren Namen im Nominativ desto sicherer zu unterscheiden.
Z.B. Cicero’s Werke, Göthe’s Schriften, die Hahn’sche Hofbuchhandlung.

[16. Abschnitt: Die Zeichensetzung: 16. Der Apostroph, S. 757]

Nur zu logisch also, dass der Genitiv-Apostroph im 19. Jahrhundert allgemein üblich war:

  • Bei Reimer erschienen Jean Paul’s sämmtliche Werke (1826)
  • Cotta brachte die Ausgabe letzter Hand als Goethe’s Werke heraus (1827)
  • Bettine von Arnim veröffentlichte Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde (1835) sowie Clemens Brentano’s Frühlingskranz (1844)
  • Wilhelm Schäfer beschrieb Goethe’s Leben (1851)
  • Emil Palleske beschrieb Schiller’s Leben und Werke (1858/1859)
  • Hermann Cardauns veröffentlichte Die Märchen Clemens Brentano’s (1895)

Dann aber kam der Duden, und machte dem Genitiv-Apostroph den Garaus. Oder doch nicht? Die Firma Hipp verkaufte jedenfalls weiter Hipp’s Kindermehl, Kaiser’s Kaffee beließ es beim angestammten Namen, auch Wacker’s Kaffee in Frankfurt scherte die Vorschrift wenig, und noch 1978 eröffnete Alfred Biolek im Fernsehen Bio’s Bahnhof.

Auch Thomas Mann, Carl Zuckmayer oder Franz Kafka kümmerten die Regeln wenig, wie wir nicht nur den Tagebüchern, sondern zum Beispiel auch dem Zauberberg, dem Geheimreport oder dem Prozess entnehmen können.

Kafka, Thomas Mann, Zuckmayer: alles nur Deppen?