Ein Preisausschreiben von 1925

Beim Blättern in alten Papieren sind wir wieder auf einen faszinierenden Artikel gestoßen. Darin geht es um einen von zwei Verlagen ausgelobten Buchpreis.


100.000 ist eine stolze Zahl. Sechsstellige Ziffern sind fast immer beeindruckend, vor allem wenn es ums Geld geht. Nun war das freilich nicht immer so. Man schaue sich nur einmal das Inflationsjahr 1923 an. Hatte ein Kilogramm Butter vor dem Krieg in Berlin noch 2,60 Mark gekostet, so war der Preis im Januar 1923 zunächst auf 5500 Mark gestiegen, bevor die Entwicklung geradezu explosionsartig über 30.300 Mark im Juni bis hin zu 5,6 Billionen Mark am 26. November weiterging.

100.000 Mark waren damals also so gut wie nichts wert. Ein Buchpreis in dieser Höhe hätte jedenfalls keinen Hund hinterm Ofen hervorgelockt. Wie anders aber kaum zwei Jahre später. 100.000 Mark waren nun plötzlich wieder ein wahrer Geldsegen, entsprachen sie doch dem Wert von mehr als 400.000 Euro – eine unerhörte Summe.

Umso erstaunlicher, dass zwei deutsche Verlage, der Verlag der Münchner Neuesten Nachrichten und der Verlag des Hamburger Fremdenblattes, im Frühjahr 1925 eine ganzseitige Anzeige in einige deutsche Zeitungen einrücken ließen, so beispielsweise auch in den Querschnitt (Heft 2, S. 178), worin sie ebendiese Summe für den besten Zeitungsroman auslobten. Die Aufgabe bestand darin, einen ›echt deutschen Roman‹ zu schreiben, mit anderen Worten: ein ›in den tiefsten Problemen des deutschen Volkes wurzelndes und aus ihnen organisch wachsendes wirkliches Kunstwerk von hohen Qualitäten in schriftdeutscher Sprache, mit interessierenden Einzelschicksalen, die symbolhaft das Wesen unserer Zeit dartun‹.

Was dies nun eigentlich bedeuten mag, vermögen wir nicht zu sagen. Doch damit sind wir nicht alleine. Auch Ludwig Winder wusste nichts damit anzufangen, wie wir seinem Beitrag vom 13. Juni 1925 im Tage-Buch entnehmen können, der mit dem vielsagenden Titel ›Hunderttausend Mark für den schlechtesten Zeitungsroman‹ überschrieben war (S. 883 f.).

Nun, beiden Verlagen war es angeblich darum zu tun, das ›allgemeine Niveau des Zeitungsromans zu heben‹ – dieser ›kulturellen Mission‹ wegen hätten sich also die beiden Verlage zu einem ›außergewöhnlichen Opfer‹ entschlossen. Ob heute noch irgendjemand bereit wäre, so tief in die Schatulle zu greifen? Wohl kaum.

Über den besten Roman sollte dann ein neunköpfiges ›Preisrichter-Kollegium‹ entscheiden, dem auch Ricarda Huch, Hans Friedrich Blunck und Bernhard Kellermann angehörten. Offenbar war aber nicht allen Teilnehmerinnen ganz klar, worüber sie schreiben sollten, denn ein später im Querschnitt (Heft 8, S. 741) veröffentlichtes Inserat wies noch einmal gesondert auf die oben bereits zitierten Sätze hin. Überdies gingen die Inserenten noch einmal auf das Preisrichterkollegium ein: ›Es besteht sonach aus den Herren‹ heißt es dort und erwähnt dann wie selbstverständlich den folgenden Herrn: ›Frau Ricarda Huch‹. Es ist für schreibende Männer eben noch nie leicht gewesen, auch Frauen als ihnen gleichwertig oder gar höhergestellt wahrzunehmen.

Wer aber hat denn nun den Preis erhalten? Auch das erfahren wir im Querschnitt (Heft 3 des Jahrgangs 1926), einmal per Anzeige (S. 233), dann noch einmal in einem gesonderten Beitrag (S. 252): Offenbar konnte sich das Preisrichterkollegium nicht ganz einigen, weshalb es aus den mehr als 300 eingegangenen Arbeiten gleich zwei Autorinnen auszeichnete, die sich dann aber das Preisgeld schwesterlich/brüderlich teilen mussten: Dr. Elsa von Bonin aus Brettin erhielt für ihren Roman Borwin Lüdekings Kampf mit Gott genauso 50.000 Mark wie Herr Regierungsbaurat Edmund Kiß aus Recklinghausen, der den Roman Der Weg aus der Nacht eingereicht hatte.

Zudem erwarben die beiden beteiligten Verlage noch elf weitere Romane, die von teilweise recht bekannten Autorinnen verfasst worden waren: Ernst Wiechert (Der Knecht Gottes Andreas Nyland), Hans Leip (Tinser oder die verzweigte Lust), Lu Volbehr (Schiff in Not), Gertrud von Brockdorff (Magnus Rasmussen), Felix Moeschlin (Der Mann aus dem Schützengraben) und Konrad Beste (Preisroman).

Fragt sich nur, ob der Zeitungsroman danach tatsächlich eine neue Blüte erlebt hat? Wahrscheinlich nicht. Eins interessiert uns aber noch mehr: was wohl Frau Bonin und Herr Kiß mit dem ganzen Geld gemacht haben?