Goethe und die Rechtschreibung

Die Rechtschreibreform war eine schwere Geburt. Tatsächlich halten noch heute manche Zeitschriften an der alten Rechtschreibung fest. Wie hat es Goethe zu seiner Zeit damit gehalten?


Wie es Goethe mit der Rechtschreibung hielt, ist umstritten. In Briefen an seinen Verleger hat er durchaus genaue Anweisungen erteilt, wie die Korrektoren und Setzer mit seinen Texten umzugehen hätten. Man beachte zum Beispiel diese Stelle:

Haben Sie ja die Güte, einem sorgfältigen Mann die Revision höchlich anzuempfehlen, wobey ich ausdrücklich wünsche, daß man das übersandte Exemplar genau abdruckte, nichts in der Rechtschreibung, Interpunction und sonst verändre, ja sogar, wenn noch ein Fehler stehn geblieben wäre, denselben lieber mit abzudrucken. Genug, ich wünsche und verlange weiter nichts als die genaueste Copie des nun übersendeten Originals.

[Brief an Johann Friedrich Cotta, 30. September 1805; → Sophienausgabe: Briefe 19, Nr. 5139]

Andererseits haben seine Zeitgenossen Goethe offenbar ganz anders erlebt. Das vielleicht bekannteste Zitat in diesem Zusammenhang hat der Dichter und Theaterleiter Karl Eduard von Holtei (1798 bis 1880) in seinen Erinnerungen festgehalten. In einem Gespräch mit Holtei soll sich Goethe wie folgt geäußert haben:

Mir, der ich selten selbst geschrieben was ich zum Druck beförderte, und, weil ich diktirte, mich dazu verschiedener Hände bedienen mußte, war die konsequente Rechtschreibung immer ziemlich gleichgültig. Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf kommt es doch eigentlich nicht an; sondern darauf, daß die Leser verstehen, was man damit sagen wollte! Und das haben die lieben Deutschen bei mir doch manchmal gethan.

[Vierzig Jahre 1845: fünfter Band, S. 61]

Auch bei einer anderen Gelegenheit hat Goethe ganz offenbar dieselbe Meinung vertreten. Gewährsmann ist der Magistrats- und Polizeirat Joseph Sebastian Grüner (1780 bis 1864), der bei einem Zusammentreffen am 26. August 1822 mit Goethe über die rechtere Schreibung konferierte:

Das Gespräch drehte sich meist um die Studien, und kam dann auch auf die jetzige deutsche Orthographie. Laßt ihr mich mit eueren Schreibfehlern gehen, sagte Goethe, ich mache in jedem Brief Schreibfehler und keine Comma. Ich dictire meistens und sehe nicht nach. Sollte ich aber alle Briefe beantworten, so müßte ich ein eigenes Comptoir noch haben.

[Briefwechsel und mündlicher Verkehr zwischen Goethe und dem Rathe Grüner 1853, S. 120]

Tatsächlich scheint sich Goethe etwas schwer getan zu haben, auf die richtige Schreibung zu achten – vor allem immer dann, wenn er so richtig im Fluss war, wie wir folgender Mitteilung entnehmen können:

Ich bin niemals zerstreuter als wenn ich mit eigner Hand schreibe: denn weil die Feder nicht so geschwind läuft als ich denke, so schreibe ich oft den Schlußbuchstaben des folgenden Worts ehe das erste noch zu Ende ist, und mitten in einem Comma, fange ich den folgenden Perioden an; Ein Wort schreibe ich mit dreyerley Orthographie, und was die Unarten alle seyn mögen, deren ich mich recht wohl bewußt bin und gegen die ich auch nur im äußeren Nothfall zu kämpfen mich unterwinde, nicht zu gedenken, daß äußere Störung mich gleich verwirren und meine Hand wohl dreymal in Einem Brief abwechseln kann.

[Brief an Josephine O’Donell, 24. November 1812; → Sophienausgabe: Briefe 23, Nr. 6431, S. 167 f.]