Mathematik und Poesie

Wie reagiert ein Mathematiker, wenn ein Dichter in einem Gedicht eine mathematisch ungenaue Angabe macht? Charles Babbage jedenfalls schrieb einen Brief.


So ein Einwand kann wohl nur von einem Mathematiker kommen. Und Charles Babbage (1791 bis 1871) war ja nicht irgendwer, immerhin hatte er an der Universität Cambridge die Professur für Mathematik am Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik inne und entwickelte das Konzept einer programmierbaren Rechenmaschine.

Kein Wunder also, dass er Anstoß nahm an zwei mathematisch ungenauen Versen, die der junge Lord Alfred Tennyson (1809 bis 1892) in seinem Gedicht ›The Vision of Sin‹ verwendet hatte.

Every moment dies a man,
Every moment one is born.

[Tennyson 1851: ›The Vision of Sin‹, S. 132]

Statt davon zu sprechen, so schrieb er ihm laut New Scientist vom 4. Dezember 1958 (S. 1428), dass jeden Augenblick ein Mensch sterbe und einer geboren werde, sollte er dies bei der nächsten Auflage dahingehend ändern, dass jeden Augenblick 1 und 1/16 Mensch geboren werde. Tatsache sei nun mal, dass die Weltbevölkerung nicht stagniere, sondern die Geburten- etwas höher sei als die Sterberate.

Wie ernst ist dieser Brief nun zu nehmen? Bei einem Mathematiker weiß man ja nie so recht, woran man ist. Dennoch dürfen wir getrost davon ausgehen, dass Babbage den guten Tennyson einfach nur ein bisschen auf den Arm nehmen wollte – als Chef von Lord Byrons Tochter Ada Lovelace (1815 bis 1852) wusste Babbage schließlich ganz genau, dass ein Dichter eine gewisse künstlerische Freiheit benötigt und sich nicht an jede mathematische Regel halten kann.