Die hölzernen Kreuze

Beim Blättern in Tucholskys Texten finden wir auch zwei Hinweise auf ein Buch von Roland Dorgelès: Die hölzernen Kreuze. 1929 stellt er die französische Fassung vor, ein Jahr später bespricht er dann auch die deutsche Übersetzung.


Daten zum Buch

  • Autor: Roland Dorgelès
  • Titel: Les croix des bois
  • Genre: Roman
  • Verlagsort der Erstausgabe: Paris
  • Verleger: Albin Michel
  • Erscheinungsjahr: 1919
  • Deutsche Erstausgabe: Die hölzernen Kreuze (Horw-Luzern: Montana Verlag 1930, Übersetzung: Tony Kellen und Erhard Wittek)

Für Tucholsky war es von den Kriegsbüchern ›das schönste von allen; nicht das größte, aber das schönste‹ (→ TT1, S. 703). Was aber bedeutet das: das schönste Kriegsbuch? Kann ein Buch über den Krieg überhaupt schön sein? Vielleicht schon.

Vertrauen wir zunächst einmal auf Tucholsky, der Zeit seines Lebens viele Kriegsbücher besprochen hat. Darunter war also auch das vorliegende, das hierzulande weitgehend unbekannt ist: Les croix des bois von Roland Dorgelès.

Tucholsky war begeistert. So zählte er in seiner ersten Rezension, die sich mit dem französischen Original befasste, viele Beispiele auf, die veranschaulichen sollten, was Dorgelès geleistet hatte, etwas ›ganz und gar Einzigartiges‹ nämlich:

Woher er dies hier hat, weiß ich nicht; es muß ihm der selige Shakespeare nachts im Traum erschienen sein.

[TT1, S. 704]

Alle Wetter, das ist ein Wort. Ein größeres Lob kann man sich in der Tat nur schwer vorstellen. Wir wollen das Buch einmal selbst lesen. Doch taugt es auch auf Deutsch etwas? Immerhin hielt es Tucholsky zunächst für unübersetzbar. In der Tat traute sich lange keiner an diese Aufgabe, doch 1930, zu einer Zeit, als in Deutschland die Kriegsbücher noch immer Konjunktur hatten, erschien es schließlich auch auf Deutsch.

Für die Übersetzung zeichneten Tony Kellen und Erhard Wittek verantwortlich. Ihre von Wolfgang Günther neu durchgesehene Arbeit ist auch die Grundlage für die hier vorliegende Ausgabe: Die hölzernen Kreuze (Leipzig/Weimar: Gustav Kiepenheuer Verlag 1988). Sie ist leider nur noch antiquarisch zu beziehen, im Handel ist sie derzeit nicht mehr erhältlich. Tucholsky fand in seiner Besprechung einige Kritikpunkte, hielt die ›sehr schwierige Übertragungsaufgabe‹ aber im Ganzen für ›nicht schlecht gelöst‹ (→ TT2, S. 655). Na, wollen wir mal sehen.

Ein Buch über den Ersten Weltkrieg also – davon gibt es mehr als genug. Bekannt sind hierzulande natürlich vornehmlich die Bücher, die das Geschehen an der Front und hinter den Linien aus deutschem Blickwinkel zeichnen. Doch warum nicht mal über den Tellerrand schauen? Den Krieg aus der Sichtweise des französischen Soldaten zu erleben, das kann nur der, der auch ein Buch wie Die hölzernen Kreuze liest.

Ein äußerst ungewöhnliches Buch, das, wie der Name schon vermuten lässt, in eindringlicher Weise vom Leben und Sterben an der Front handelt. Es ist eine wahre Hölle dort draußen in der vordersten Linie – entrinnen kann man ihr wohl nicht. Man sammelt dort eben nicht nur alle möglichen militärischen Ehrenkreuze, sondern vor allem auch die Kreuze des Todes, die hölzernen also.

Das Ziel kann also nur lauten: So gut es eben geht dieses Inferno zu überstehen – mit möglichst wenig Wunden an Leib und Seele. Aber wem gelingt das schon? Die, die überleben, sind gezeichnet für den Rest ihres Lebens. Nur die, die sterben, haben es hinter sich. Die Flucht aus der Hölle gelingt in der Tat nur wenigen.

Auch der Pferdehändler Boffioux schafft es nicht. Ausgerechnet er, der ja ohnehin so viel Angst vor dem Krieg hatte, ausgerechnet er, der, was ja nur verständlich ist, alles dafür getan hat, um nur ja nicht an die Front zu müssen. Seine Geschichte wird erzählt von einem anderen der vorne stationierten Soldaten, Jacques Larcher, der nie seine eigenen Gefühle beschreibt, dafür aber die der anderen.

Die anderen – wer ist das noch? Das wohlgepuderte Muttersöhnchen Gilbert Demachy beispielsweise, Student der Rechte, der als Neuer mit hübschem Käppi und einem großen Brotbeutel aus weißem Moleskin bei den alten Fronthasen sich vorstellt. Bei Sulphart also, dem Griesgram, oder bei Bréval, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann, und schon gar nicht einem Menschen.

Das alles ist ungeheuer realitätsnah geschildert. Autor konnte also nur jemand sein, der selbst an der Front seinen Mann gestanden hatte. Tatsächlich beruht die Erzählung auf den Kriegserlebnissen des am 15. Juni 1886 in Amiens geborenen Roland Lécavelé, der vor dem Krieg mit durchaus etwas fragwürdigen Mitteln als Journalist gearbeitet und seine Artikel dabei mit dem Pseudonym Dorgelès gezeichnet hatte.

Lécavelé machte es genauso wie so viele seiner deutschen Kollegen auch: Er meldete sich im August 1914 als Kriegsfreiwilliger. In den nachfolgenden vier Jahren durchlief er als Soldat mehrere Stationen. So nahm er als Infanterist an mehreren Schlachten teil, war bei den MG-Schützen, wurde im Artois verwundet, versuchte sich später auch als Flieger, baute aber noch vor der Pilotenprüfung eine Bruchlandung und wurde daraufhin zum Bodenpersonal versetzt. Ein wahres Auf und Ab also. Trotzdem wusste er ganz genau, worüber er schrieb. Demachy – das war er im Grunde selbst.

Die hölzernen Kreuze waren sein größter Wurf, für den er 1919 auch den französischen Literaturpreis Prix Femina erhielt. Nominiert war er auch für den bedeutenderen Prix Goncourt, der aber mit sechs zu vier Stimmen Marcel Proust für dessen Roman Im Schatten junger Mädchenblüte verliehen wurde.

Ganz ohne Frage zählt Dorgelès‘ Buch zu den erfolgreichsten französischen Romanen über den Ersten Weltkrieg. Zu nennen sind außer ihm vor allem noch Das Feuer von Henri Barbusse und Leben der Märtyrer von Georges Duhamel. Es ist ein Buch, das jeder einmal gelesen haben sollte, der sich über den Ersten Weltkrieg informieren will.

Und nun, wie lautet die Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage: Kann ein Buch über den Krieg überhaupt schön sein? Es kann. Aber nur in Ausnahmefällen. Hier liegt ein solcher Fall vor.


Tucholskys Text 1: ›Auf dem Nachttisch‹, Autorenname: Peter Panter, Die Weltbühne 45/1929, S. 701 bis 705; Tucholskys Text 2: ›Auf dem Nachttisch‹, Autorenname: Peter Panter, Die Weltbühne 44/1930, S. 651 bis 656