Der gespaltene Infinitiv – eine Grammatiksünde auf Englisch?

Sprachhüter in englischsprachigen Ländern regen sich gerne über eine vermeintliche Sünde auf: den Split Infinitive. Dabei besteht gar kein Grund, sich darüber aufzuregen.


In der englischen Sprache ist es nicht viel anders als in der deutschen: hier wie dort wird gerne der Verfall und Niedergang der Sprachkultur beklagt. Besonders groß ist die Aufregung in englischsprachigen Ländern vor allem dann, wenn wieder einmal ein Infinitiv getrennt wird – eine Todsünde, die manch einen Puristen in die Nähe eines Herzinfarkts zu bringen scheint. (Was aber noch keinen Muttersprachler daran gehindert hat, den Infinitiv dennoch aufzuteilen.)

Was hat es mit dem Split Infinitive auf sich? Wenn uns ein Verb in seiner nackten, reinen, ungebeugten Ursprünglichkeit begegnet (gehen, lieben), sehen wir seine Grundform vor uns, die das Geschehen oder Sein ohne Bindung an Zeit, Zahl oder Person ausdrückt.

Im Deutschen wie im Englischen kommt der Infinitiv aber nicht nur in seiner reinen Form vor, sondern oft auch mit einer Erweiterung wie zu: ›Es gibt 100 Gründe, die deutsche Sprache zu lieben.‹ Im Englischen entstehen in diesen Fällen entsprechende Satzglieder: to go, to love, to talk.

Einige Grammatiker sind nun der Meinung, diese beiden Worte dürften unter keinen Umständen voneinander getrennt werden. Warum, ist nicht ganz klar, denn in aller Regel spielt es für das Verständnis keine Rolle, ob der Infinitiv getrennt wird oder nicht. Ein allgemein bekanntes Beispiel finden wir in der Sequenz, mit der die Originalserie von Raumschiff Enterprise eröffnet wird.

Viele Experten finden diese Form unausstehlich, obwohl zwischen to boldly go, to go boldly und boldly to go keinerlei Unterschied besteht: alle drei Formen bedeuten genau dasselbe.

In diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick auf die Verse, die der englische Dichtergottvater Lord Byron und der schottische Nationalbarde Robert Burns hinterlassen haben:

To slowly trace the forest’s shady scene

[Childe Harold’s PilgrimageCanto The Second, XXV‹, S. 47]

Who dared to nobly stem tyrannic pride.

[›The Cotter’s Saturday Night‹, S 115]

Doch das sind nur zwei Beispiele von vielen. Auch Fanny Burney, George Eliot, Thomas Hardy, Rudyard Kipling oder Mark Twain haben sich dieser Form bedient, wie man bei Tom Freeman nachlesen kann, der auf seinem Blog Stroppy Editor noch viele weitere solcher Fälle zusammengetragen hat.

Der irische Dramatiker George Bernard Shaw geriet über den Gebrauch des Split Infinitive sogar mit einem Redakteur der London Times in Streit und forderte in einer Zuschrift den sofortigen Rausschmiss des pedantischen Redakteurs, der zu viel Zeit damit verbringe, nach gespaltenen Infinitiven zu suchen; es sei dabei unwichtig, wie schnell er sich zu gehen entscheide: to quickly go, to go quickly oder quickly to go – gehen aber müsse er, und zwar sofort (→ The Times. Brief Letters to the Editor 2002, S. 36).